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Als die Eheringe unter die Treppe purzelten

Miehlener Seniorennachmittag erinnert an 75 Jahre EKHN und 60 Jahre evangelisches Gemeindehaus 

MIEHLEN/RHEIN-LAHN. (19. Mai 2023) An die Geschichte der im September 1947 gegründeten Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sowie an den Bau des Miehlener Gemeindehauses vor 60 Jahren erinnerte der jüngste Seniorennachmittag der Ortsgemeinde Miehlen. Dazu begrüßte Walter Lotz am Jubiläumsort Bernd-Christoph Matern als Referenten. Der Journalist und Öffentlichkeitsreferent des Dekanats Nassauer Land erinnerte an die Entstehung und Entwicklung der EKHN und mit Fotos an Bau und Einweihung des evangelischen Gemeindehauses. Dem unterhaltsamen Blick zurück folgte schriftlich einer nach vorn.

75EKHN 60JahreGHMiehlenTafel160423 becrima Die zwölf Schautafeln einer EKHN-Wanderausstellung zum vergangenen Jubiläumsjahr dienten als Anschauungsmaterial, um über Kirche von einst und jetzt nachzudenken. Themen, für die es Verbindungen in den Rhein-Lahn-Kreis gibt, griff Matern heraus. „So selbstverständlich heute mit Kerstin Janott bereits zum zweiten Mal eine Frau das Dekane-Amt ausübt, ist es nicht“, so der Referent. Er erinnerte an die verstorbene Evelin Clotz, bis 2006 Gemeindepfarrerin in Dachsenhausen. Sie war die erste Pfarrerin, die als verheiratete Theologin ihren männlichen Pfarrkollegen rechtlich vollständig gleichgestellt wurde, als sie im August 1971 zur Pfarrerin auf Lebenszeit ernannt wurde.

Die weltweite Ökumene werde im Rhein-Lahn-Kreis durch die mehr als 40-jährige Partnerschaft des Dekanats mit dem Distrikt Mabira in Tansania gepflegt, ein konkretes Beispiel, um den eigenen Horizont zu erweitern und Fluchtursachen zu bekämpfen. Auch Strukturreformen, die auf den Schautafeln thematisiert werden, gäbe es seit Jahrzehnten in der evangelischen Kirche auf Landesebene wie der regionalen, erinnerte Matern an das im Miehlener Gemeindehaus 1968 beschlossene Aus fürs Dekanat Nastätten, was viele Protestanten im Taunus als „Untergang der evangelischen Kirche“ prophezeit hätten. Allen historischen wie aktuellen Unkenrufen von Kirche und Medien zum Trotz, gehörten im Rhein-Lahn-Kreis heute fast Dreiviertel der Bevölkerung einer der beiden christlichen Kirchen an und wüssten sich vom christlichen Glauben getragen, so der Medienwissenschaftler. „Da sind die vielen hier lebenden Muslime, die an den selben Gott glauben, noch nicht eingerechnet“, so Matern. Am wichtigsten war dem Referenten der Blick auf die Überwindung der verheerenden NS-Diktatur und die daraus resultierenden demokratischen Strukturen in der EKHN, die seither analog zu den staatlichen Strukturen evangelische Entscheidungsprozesse von unten nach oben garantieren sollen. „Wenngleich hier wie da heutzutage wohl manches von oben nach unten über den Geldhahn reguliert wird.“

Nach einem Blick auf die Ausstellungstafeln wurde es ganz lokal und munter: Die Bilder vom Bau und der Einweihung des Miehlener Gemeindehauses aus dem Archiv des ehemaligen Dekans und Gemeindepfarrers Wilhelm Matern sorgten für Rätselraten, wer die einstigen Handwerker waren, die eine alte Scheune abrissen und den neuen Treffpunkt für die „aufgegliederte Gemeindearbeit an Männern und Frauen“, Jugend, Bibelstunden und Kirchenchor mit ganz viel Handarbeit und Herzblut schufen. Auch den Inhalt des Grundsteins las Matern vor, in dem noch um die Wiedervereinigung des „Vaterlandes“ gebetet wurde. Ein Bild erinnerte an die Anfänge des Seniorennachmittags der Gemeinde 1988.

Viele Anekdoten wurden mit Ausstellung und Bildern geweckt. Eine unvergessene Begegnung mit dem ersten EKHN-Kirchenpräsidenten Martin Niemöller kam einer Besucherin in den Sinn, als sie 1947 als Schulkind bei dessen Besuch „Spalier“ gestanden habe. Ein Besucher hatte selbst bei den Abrissarbeiten der Scheune Hand angelegt. Auch Ehen wurden im Gemeindehaus geschlossen, als 1968 die Kirche gegenüber saniert wurde. „Mein Mann ließ vor lauter Aufregung unsere Eheringe draußen auf die Treppenstufen fallen“, erzählte eine Seniorin. Die purzelten dummerweise in den damals noch vorhandenen Hohlraum darunter. „Glücklicherweise gelang es meiner flinken Schwester, die Ringe wieder herauszuholen, so dass wir am Ende doch mit Eheringen heiraten konnten.“ An Chorproben, Theaterspiele, Konzerte, Beerdigungskaffees, Taufen, Angebote für Kinder und Jugend und unterschiedlichste gemeindliche und private Feiern bis tief in die Nacht hinein erinnerten sich die Anwesenden. Außerdem konnten sie ihre Wünsche für die Zukunft des Gemeindehauses aufschreiben.

Dass „früher alles besser war“ sei ein geflügeltes Wort, meinte der Referent, wofür es sicher viele Beispiele gäbe. Er wollte allerdings wissen, ob denn den Anwesenden beim Anblick der Bilder etwas einfällt, das besser geworden sei. Als Beispiel nannte er die vielen Zigarren rauchenden Männer, die sich an den Tischen etwa bei der Grundsteinlegung von Frauen mit Essen und Trinken bedienen ließen. Da taten sich die Senioren mit dem Antworten schwer. Kirchenvorstandsvorsitzender Dr. Ulrich Werner fand bemerkenswert, dass die zwölf Mitglieder von Kirchenvorstand und Kirchengemeindevertretung, die den Inhalt des Grundsteins unterzeichneten, ausschließlich Männer waren. Glücklicherweise habe sich der Anteil von Frauen im heutigen Kirchenvorstand deutlich verändert.

Das kräftig angestimmte altbekannte Volkslied „Kein schöner Land“ beendete den Nachmittag. Und statt „Tal“, wie es im Original heißt, sangen die Senioren „dass wir uns hier in diesem Saal noch treffen so viel hundert Mal“. (cm)

Buch zur Ausstellung und Gemeindehaus für Generationen

EKHN 75JahreLogo CMYKDie Schautafeln zur Geschichte der EKHN mit umfangreicheren Erläuterungen und mehr statistischen Entwicklungszahlen hätten viele Menschen gern noch einmal in Form eines Buches zum Nachlesen in Händen. Fürs Miehlener Gemeindehaus fanden sich auf den abgegebenen Notizblättern viele Wünsche, Beispiele: mehr regelmäßige gemeinsame Veranstaltungen von jung und alt, Kinoabende zu ausgewählten Themen, Weinproben, ein Frühjahrskonzert, Spiele-Nachmittage. Auch Beerdigungscafés wurden gewünscht anstatt anonymer Beisetzungen, wie sie in der Corona-Pandemie Schule gemacht hätten. Ganz praktische Vorschläge gab es ebenso: Eine Küche mit Rücken-freundlicheren Elementen, eine attraktivere Gestaltung des Jugendraums und mehr Parkplätze rund um den belebten Treffpunkt.

Zu den Fotos:

Neben den Schautafeln einer Wanderausstellung über die Geschichte der EKHN sorgten Bilder vom 1963 eingeweihten evangelischen Gemeindehaus für Gesprächsstoff beim jüngsten Seniorennachmittag der Ortsgemeinde Miehlen. Fotos: Dekanat/Matern