Reformationsspiel: Blick aufs Leben der Lutherin gelenkt
Renate Weigel und Theater-Teams erinnern an außergewöhnliche Ehefrau des berühmten Reformators
RHEIN-LAHN. (10. November 2023) Als sich im Jahr 2017 der Thesenanschlag Martin Luthers zum 500. Mal jährte, rangen manch zeitgenössische Schriftgelehrten darum, ob „Lutherjahr“ oder „Reformationsjahr“ die passendere Bezeichnung wäre. 2023 rückt die Dekanin im Ruhestand Renate Weigel eine andere Person in den Fokus: Katharina von Bora. Als Halbwaise wird sie mit fünf Jahren in ein Benediktinerkloster gegeben, später kommt sie zu Zisterziensern, bevor sie 1525 den verbannten Mönch heiratet.
„Liebe Frau Käthe Lutherin“ hat Weigel ihr Spiel überschrieben, das zum diesjährigen Reformationsfest in Bornich und Holzhausen fast 200 Neugierige verfolgen. Im schwarzen Talar – textiles Identitätssymbol des Protestantismus, das auf Herrn Luther zurück geht – spricht die Pfarrerin von heute mit der Hauptfigur des Stücks in mittelalterlichem Umfeld und Gewand. Gottesdienst und Spiel bieten zweierlei: einmal viele Informationen zu Zeit, damaligem Geschlechter-Verständnis, Sexualmoral und zu den dürftigen Zeugnissen zum Leben Katharinas; zum anderen ein Gefühl für Charakter, Glaubensmut und Lebenseinstellung der Protagonistin. Ebenso sinnige wie pragmatische Fragen werden da von der Kirche heute in die Nähstube des 16. Jahrhunderts gestellt.
Wie wenig über das Leben der Lutherin bekannt und verbreitet ist, hat Weigel selbst während Besuchen der so genannten Luther-Stätten wie Worms, Wittenberg oder Eisenach erfahren. Martin Luther ist dort omnipräsent in Denkmälern, Museen, Straßen und zahlreichen Luther-Devotionalien. Im Kreismuseum Grimma finde sich ein „weißseidener Schuh“, den die Nonne Katharina auf ihrer Flucht aus dem Kloster 1523 verloren haben soll. „Was für ein Unsinn! Glauben die Leute, wir hätten im Kloster getanzt? Wir waren keine Kinder mehr, wir hatten unsere Arbeit zu tun und dabei ordentlich aufzutreten!“, legt die Autorin der Lutherin als Antwort in den Mund.
Wie war der Alltag im Kloster? Wie wurden Luthers Schriften hinter die streng gehüteten Klostermauern geschmuggelt? Und warum setzte Katharina mit elf anderen namentlich bekannten Nonnen ihr Leben aufs Spiel, um nach 15 Jahren aus dem Kloster Mariathron in Nimbschen bei Grimma zu fliehen? Das sind unter anderen Fragen, die Weigel von ihrer Lutherin beantwortet haben will. Was bis dato so klar und fest gefügt erschien, sei durch die verbotenen Schriften des Doktor Martinus aus Wittenberg aufgerissen worden. „Wir lasen, dass die Gelübde nur ein sauer gequält Ding seien, Geschwärm und Gewürm des päpstlichen Regiments“, antwortet Katharina. In Bornich wird sie von Katrin Pohl, in Holzhausen von Birgit Crecelius gespielt. „Es war, als sprengte er alle Ketten. Wir wollten so frei sein.“
Das gilt ebenso für ihre Eheschließung mit dem 16 Jahre älteren Martin Luther, die rundum einen Skandal auslöste. „Ich hatte keine Zeit für solch' Geschwätz. Ich ging an die Arbeit“, kommentiert Frau Luther. Dass beide nach so vielen Jahren hinter Klostermauern in Liebesdingen ungeübt sind, liegt auf der Hand; wirtschaftliche Sicherheit und Pragmatismus sind fürs Ja-Wort ausschlaggebend, erfahren die Besucher im Gottesdienst. Keine Liebesheirat also, aber eine Verbindung auf gleicher Augenhöhe, die auf gegenseitiger Wertschätzung basiert und sich doch liebevoll entwickelt.
Gegen Ende ihres Spiels beschert Weigel einen Einblick ins Leben im ersten evangelischen Pfarrhaus. Es sei offen für Besucher gewesen. Dort lebten neben sechs eigenen Kindern, von denen zwei Töchter starben, noch Pflegekinder, Knechte und Mägde. Das Leben der taffen Lutherin endet tragisch. Sechs Jahre nach dem Tod ihres Mannes flieht sie bettelarm, weil ihr Mann im Fall seines Todes keinen Vormund bestellt hatte, vor Krieg und Pest. Mit 52 Jahren stirbt sie. „Es war mein Leben. Ich habe es gelebt an jedem einzelnen Tag, als ein Geschenk und Auftrag Gottes“, lässt die Autorin am Ende die Hauptfigur sagen.
Der starke Beifall an beiden Aufführungsorten gilt nicht nur Mimen, Musizierenden und dem rührigen Technikpersonal. Weigels Gottesdienst zeigt eine starke Frau, die die Theologie des Reformators im Alltagsleben umsetzt, „und das so frank und frei, dass wir uns heute noch eine Scheibe davon abschneiden können“. Wie Männer noch vor 100 Jahren übers „schwache Geschlecht“ dachten, berichten Darstellerinnen mit Schnurrbärten im Eingangsteil der beiden Abende. Am Ende steht die Zusage an alle Geschlechter, aus „freiem Heldenmut“ ungeachtet von Krieg oder Krankheit auf Gottes Zusage stehend ein Ja zu Alltag und Arbeit zu finden und sich „in Gott geborgen dem zu stellen, was gebraucht wird“. Thesen, über die sich während leckerem „Speis und Trank“ nicht nur in Bornich und Holzhausen noch reichlich ausgetauscht wird. (Bernd-Chr. Matern)
Zum Foto:
Renate Weigel (links) stellte ihre Fragen von heute in die Stube, wo die „Lutherin“ im historischen Ambiente und Gewand Antworten aus der Vergangenheit des 16. Jahrhunderts gab. Das Foto entstand in Bornich. Dort wurde Katharina von Bora von Karin Pohl gespielt, in Holzhausen von Birgit Crecelius. Foto: Andreas Pohl