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Kirchenchor und Kantor machen Mut in Zeiten der Zertrennung

Abendmusik in Miehlen: Variantenreich Gottes Licht als Anker für Gnade, Versöhnung und Ruhe besungen

 MIEHLEN/RHEIN-LAHN. „Skandal!“, „Jetzt reicht's!“, „Die sind schuld!“, „Wer gendert, mit dem red' ich nicht!“, „Wer nicht gendert, gehört nicht zu uns!“ – mit dem schimpfendem Stimmengewirr einer Textcollage betraten Sängerinnen und Sänger des evangelischen Kirchenchores Miehlen den Altarraum zum Auftakt ihrer Abendmusik zu Buß- und Bettag. So wüst hat die in ihrer 64-jährigen Geschichte noch nie begonnen. „Lass leuchten das Licht der Güte und Gerechtigkeit!“ lautete der Titel, der das hysterische Gegeneinander in der Gesellschaft lautstark in die Miehlener Kirche holte.

„Schaue die Zertrennung an“ stimmte der Chor nach düsterer Orgeleinleitung an. Es blieb nicht so trostlos. Vielmehr wiesen die von Chorleiter Bernd-Christoph Matern gedichteten Verse und die folgenden Chorsätze im vollbesetzten Gotteshaus auf bleibende Konstanten des Lebens hin: „Allein auf Gottes Wort“, „Du bist mein Zufluchtsort“ und „Herr, deine Güte“ ließen Sängerinnen und Sänger im ersten Teil des Abends erklingen. Die Gemeinde stimmte in versöhnliche Weisen ein: „Herr gib mir Mut zum Brückenbauen“ oder „Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht“ riefen dazu auf, Gräben zu überwinden, verzeihen zu lernen und dem Egoismus offene Ohren, Augen und Herzen für Gedanken, Not und Sorgen des Nächsten entgegen zu setzen.

Ein Höhe- und Wendepunkt in Duktus und Musik: „This little light of mine“ und das bekannte „We are the world“ in deutscher Textfassung, mit dem Michael Jackson und Lionel Richie 1985 eine Hymne komponierten, die den Blick auf Menschen lenkt, die damals wie heute mehr Grund zum Jammern und Klagen hätten, als es in der westlichen Welt gerade die Gesellschaft spaltend angestimmt wird. Ulrich Groß und Barbara Schwank sangen das bekannte „Amazing grace“ englisch und deutsch („O Wunder der Barmherzigkeit“), und zusammen mit Anke Rammersbach-Schade und Gaby Bindczeck baten sie dreistimmig um Gottes Beistand „Halte uns fest“.

An der Orgel brillierte Dekanatskantor Markus Ziegler mit Variationen von Johann Pachelbel über den Choral „Werde munter mein Gemüte“ und mit einem eindringlichen romantischen Marsch („Alla Marcia“) von Christian Heinrich Rick am Miehlener Königininstrument. Für den gemeinsamen Gesang von Gemeinde und Chor legte der Kantor ein starkes Fundament an Ausdruck und Bekenntniskraft in seine stimmungsvolle Begleitung. Am Ende der 70 Minuten beschwor der Chor den Gemeinschaftsgeist („Gut, dass wir einander haben“), die Begleitung Gottes auf allen Lebenswegen („Herr, du bist uns nah“) und setzte mit der schwedischen Volksweise „Der Lärm verebbt“ einen beruhigenden Gegenpol zum hysterischen Schuld-Geschrei des Anfangs. „Ein schöner Tag zu Ende geht“ stimmten Orgel, Chor und Gemeinde zum Abschluss an. „Bewegt uns Freude oder Leid: Der Herr wird bei uns sein!“ hat Wilhelm Matern auf die schottische Melodie gedichtet. Mit diesem ermutigenden Gefühl traten die 100 Gäste den Heimweg an.

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Mit seiner Abendmusik warf der evangelische Kirchenchor Miehlen in Texten des Chorleiters und in abwechslungsreichen Chorsätzen und Liedern einen Blick auf die Zertrennung in der Gesellschaft und machte zugleich Mut zu Versöhnung, Güte und Gottvertrauen. Foto: K. Matern