Ostern2021Tulpen becrima

Wie geht es aus dem Dunkeln ins Licht?

Andacht zur Karwoche und Ostern von Dekanin Renate Weigel

RHEIN-LAHN. (31. März 2021) „Leben tut weh. Schmerz ist geradezu ein Indiz für Lebendigkeit.“ So schreibt Dekanin Renate Weigel in einer Andacht für die Karwoche und Ostern 2021. Sie schreibt darin von kleinen und größeren Toden, die Menschen belasten, warum digital oder analog Gottesdienste gefeiert werden und wie Beten hilfreich sein kann. Am Ende des Beitrags finden Sie eine PDF-Datei, um die ANdacht auszudrucken und an Interessierte weiterzugeben. 

 

R Weigel 15„Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten:

Die Rechte des Herrn behält den Sieg!

Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen,

Dies ist der Tag, den der Herr macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.“   Aus Psalm 118

Ostern kannst du nicht auf einer Bühne präsentieren oder über die Theke reichen: So, bitteschön, hier habt ihr Ostern. Packt es ein und nehmt es mit!

Ostern kannst du nur (er-)leben.

Aus dem Dunklen ins Licht kommen, aus der Beschämung zu Ehren gelangen, von Fesseln gelöst werden, aus Verzweiflung und Angst herausfinden und spüren, dass wieder Wege offen stehen – das lässt sich nicht veranstalten. Und auch nicht als Anweisung auf Papier festhalten.

Warum schreibe ich trotzdem?

Warum feiern wir Gottesdienste analog und digital?

Alles fängt mit den Schmerzen an und damit, dass ich mir erlaube, sie zu spüren. Keine Kunst, die besonders hoch angesehen ist. Es fällt uns schwer. Vielleicht helfen alte Worte aus der Bibel:

„Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Ich bin ein Wurm und kein Mensch.

Ich bin ausgeschüttet wie Wasser.“ (Psalm 22)

„Mein Leben ist hingeschwunden in Kummer, …

Ich bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäß.“ (Psalm 31)

„Das Wasser geht mir bis an die Kehle,…

Ich bin elend und voller Schmerzen.“   (Psalm 69)

„Ich liege unter den Toten verlassen,

wie die Erschlagenen, die im Grabe liegen. …

Meine Freunde und Nächsten hast du mir entfremdet.“   (Psalm 88)

„Ich wache und klage wie ein einsamer Vogel auf dem Dach.“ (Psalm 101)

Zugegeben, wir drücken uns heute anders aus, und es mag mancher Aspekt unseres modernen Lebens fehlen, Gefühle fühlen sich zu allen Zeiten ähnlich an.

Jedenfalls: Willkommen im Club! Leben tut weh. Schmerz ist geradezu ein Indiz für Lebendigkeit.

Viele kleine und größere Tode ziehen sich durch unsere Tage und Nächte. Wir wurden verletzt, wir haben versagt, wir sorgen und ängstigen uns.

Willkommen im Club, Gott! Jesus ist allein. Die anderen schlafen, und niemand sieht seine Angst. Er wird geschlagen. Sie lachen über ihn. Sie führen ihn vor und stellen ihn bloß. Er wird verurteilt. Keine Rettung in Sicht. Er stirbt.

Meine Schmerzen und seine Schmerzen, meine Angst und seine Angst, sein Tod und mein Tod – sie dürfen sich begegnen. Du bist auch im Elend, Gott? Ich dachte, du bist im Himmel. Aber du bist bei den Toten. Du hängst am Kreuz, ich stecke fest. Können wir reden?

An den Punkt führen uns die Karfreitagsgottesdienste.

„Maria!“ Die Jüngerin Jesu steht weinend im Garten. Da wird sie bei ihrem Namen gerufen.

„Lazarus!“ - Der war schon ins Grab gelegt. – „Komm heraus!“ Lazarus war in Tücher und Binden gewickelt, so dass er sich kaum bewegen konnte. Auferstehen kann schon mal sehr ungeschickt und komisch aussehen!

Das ist der Moment. Nicht machbar, nicht verfügbar. Jetzt geschieht Ostern. Jemand sieht mich im Dunkeln. Jemand ruft mich „Du!“ , „Hey!“, „Komm da raus!“

„Du darfst leben! Du sollst leben! Es ist gut, dass du da bist. Komm!“

Dann passiert ein Durchbruch. Wie beim Krokus, der sein erstes grünes Spitzchen in die Sonne hält. Jetzt kann er weiterwachsen.

Diesen Moment vergegenwärtigen wir uns in den Ostergottesdiensten.

Wir glauben, dass die Botschaft der Bibel uns in dieser Weise anruft. Dass der Auferstandene unsere Tode kennt und uns meint. In der Taufe werden wir bei unserem Namen gerufen, aus dem Tod ins Leben geholt. Im Ostergottesdienst erinnern wir daran.

Dass die Loslösung bei mir ankommt, von mir erfahren wird, kann niemand machen. Trotzdem sind wir in dieser Sache nicht ganz arbeitslos. Wir können einander anstoßen, mitnehmen, Raum geben. Wir können auch die eine oder andere Fessel lösen helfen.

Überall und zu jeder Zeit geht Beten:

Lebendiger Gott, ich kann nicht mehr. Ich schaffe es nicht. Mein Leben wird mir zu viel. Ich bin allein. Sieh mich an. Rufe meinen Namen. Hilf mir, dass ich sehe, wo ein Weg ist. Zeige mir für wen oder was ich gut bin auf dieser Welt. Ich will leben!

Ist mit Ostern alles gut? Leben Maria und Lazarus leichter? Das glaube ich nicht. Aber eine Tür steht offen, und die kann niemand wieder zuschließen.

An dieser Stelle können sie im neuen Gesangbuch unter der Nummer EG+18 das Lied „Stimme, die Stein zerbricht“ lesen oder singen. 

Gott schenke uns Lebendigkeit und Gedeihen.

Gott lehre uns barmherzig zu sein mit unseren Schmerzen und mit denen der anderen.

Gott segne uns. Amen

 

Hier finden Sie die Andacht als PDF-Datei zum Ausdrucken.