GM031121ReichenbergGoerkeErklrt becrima

Mehr Nachbarschaft, weniger Gebäude, mehr Gemeinschaft

Zwischen Schmerz und Chance: Landessynodale des evangelischen Dekanats Nassauer Land hoffen auf kreative Räume in Region

Digitale Tagung EKHN 21 CRUEWELL DIGITAL by EKHN DSC 2552 OFFENBACH/RHEIN-LAHN. (29. November 2021) Die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat während  ihrer am Samstag zu Ende gegangenen Online-Tagung die Arbeit am umfassenden Zukunftsprozess „ekhn2030“ fortgesetzt. Die 140 Delegierten des mit einem Parlament vergleichbaren Kirchengremiums debattierten unter anderem über eine verstärkte Zusammenarbeit vor Ort, die Konzentration des Gebäudebestandes und die Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit. Mehr als zwei Dutzend Anträge wurden bei den intensiven Diskussionen eingereicht und müssen nun bearbeitet werden. Abschließende Entscheidungen zu grundlegenden Reformen werden erst im kommenden Jahr erwartet.

Digitale Tagung EKHN Plenum by EKHN 2 DSC DSC 2537Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung sprach sich in der Debatte angesichts der demographischen Entwicklung und zurückgehender Mitgliederzahlen für eine „Kirche mit leichtem Gepäck“ aus. Es reiche in Zukunft nicht mehr aus, die bestehende Arbeit einfach zu reduzieren. Es sei nötig, „sich von manchem, was dauerhaft Mittel bindet“, zu trennen, um auch in Zukunft Bewegungsspielräume für die kirchliche Arbeit zu erhalten. Ziel sei es, „eine aktive und attraktive Kirche – offen und öffentlich in vielfältiger Weise nah bei den Menschen“ zu bleiben.

 

Nachbarschaftsräume: Zusammenarbeit intensivieren

Gesamtkirchengemeinde Loreley0101 2021 becrima Ein zentraler Bestandteil von „ekhn2030“ ist die Schaffung sogenannter Nachbarschaftsräume ab dem Jahr 2023. Es geht nach Worten des Entwurfs dabei „um eine Organisation des sozialen Nahraums, die in geistlicher Hinsicht eine Kirche für und mit anderen stärken und ermöglichen soll“. Ziel ist es, die Zusammenarbeit der Gemeinden vor Ort und mit anderen Akteuren der Zivilgesellschaft zu intensivieren und die Arbeit der Hauptamtlichen künftig viel stärker in Teams zu organisieren. Das Modell geht derzeit von etwa 3.000 bis 6.000 Gemeindegliedern als Orientierungsgröße für einen Nachbarschaftsraum aus.

Ganz praktisch wird das bereits in den Kirchengemeinden rund um die Loreley und im Blauen Ländchen angegangen. Das Nassauer Land gehört zu einem Pilot-Dekanat, in dem sämtliche Gebäude, die die Kirchengemeinden dort zu unterhalten haben, von der Bauverwaltung der EKHN erfasst werden ebenso wie deren Nutzung und Auslastung. Im vergangenen Monat gab es dazu eine Bereisung des südlichen Dekanatsgebietes mit Fachleuten der Bauverwaltung, die sich ein Bild von Kirchen, Pfarr- und Gemeindehäusern machten.

GM031121ReichenbergAussenGoerkeErklrt becrima GM031121ReichenbergSchildZurKirche becrima „Das war auch für uns Kirchenvorstände sehr informativ, denn wer war schon mal in allen Gebäuden und hat diese bewusst unter baulichen Belangen betrachtet“, berichtet Bärbel Goerke, die bei der Besichtigung aller kirchlichen Gebäude der Nachbarschaft „Rund um die Loreley“ dabei war und jetzt auf die konzeptionelle Auswertung aus Darmstadt gespannt ist. Schon vor Corona seien viele Gebäude und Räume nicht so oft belegt gewesen, wie das noch vor Jahren gewesen sei. Frauenkreise, musikalische Gruppen – vielerorts gingen die Teilnahmezahlen zurück; die Konfi-Gruppen nutzten manchen Raum noch am häufigsten. „Da stellt sich natürlich schon die Frage nach der Wirtschaftlichkeit“, so die Landessynodale aus Reichenberg. „Auch wenn es schwer fällt, geht wohl kein Weg daran vorbei, alle Gebäude der Kirchengemeinden auf den Prüfstein zu stellen.“

Diskutiert wurde die Frage, inwieweit es möglich ist, in Kirchengebäuden Gemeinderäume zu integrieren. „Ich kann mir schon vorstellen, dass es Gemeinden gibt, die bereit sind, ihr Gemeindehaus abzugeben und mit der Jugend stattdessen in die Kirche zu gehen; dann ist da mal was los“, formulierte Pfarrerin Yvonne Fischer (Friedland) am Bildschirm vor dem digital tagenden Gremium. Wenn das Gestühl rauskommt, könne der Raum auch für Gottesdienste variabler werden. Auch Küche und Toilette brauche es dort dann. Aber sie fürchte, dass das am Denkmalschutz scheitert, wenn mancherorts nicht mal der Einbau eines Beamers erlaubt werde. „Neu denken darf nicht am Gestühl halt machen“, so die Überzeugung der Landessynodalen. Sie hatte zur jüngsten Dekanatssynode in Miehlen zusammen mit der Theologin Ruth Poser auch die Idee für eine Kletterkirche eingebracht, für die jetzt im Dekanat noch eine interessierte Gemeinde und ein geeignetes Gotteshaus gesucht wird.

Umfassend sind die Anregungen, die Propsteisprecher Frank Puchtler aus der Synode schöpft. Kooperationschancen sieht er nicht nur zwischen evangelischen und katholischen Gemeinden, sondern ebenso zwischen Kirchen- und Ortsgemeinden sowie Dritten. Für solche Gemeinde-Häuser im wahrsten Sinne gebe es ja auch schon Beispiele im Rhein-Lahn-Kreis, wenn ein Rathaus unter seinem Dach unterschiedlichsten Gruppen und Kreisen Versammlungsraum biete, so der Landessynodale und Landrat des Rhein-Lahn-Kreises. „Wichtig ist, frühzeitig auf Kooperationen zu setzen, bevor es wirtschaftlich immer enger wird und alles wegbricht“, so Puchtler. Über das Finanzielle hinaus könne die Vernetzung für gemeinsame Räume zudem das Zusammenleben von Menschen fördern, ob sie ein soziales, gemeindliches oder kirchliches Anliegen leite.  

Jugend braucht Räume

JugendhausMiehlen11 21 becrima Hilfreich empfand Bärbel Goerke die Diskussion über Räume für die Jugend, in denen Kinder und Jugendliche Anderen begegnen können, in denen sie kreativ sein können und die sie selbst gestalten. „In unserer Nachbarschaft ist mir ein Jugendraum nur im Gemeindehaus in Niederwallmenach in Regie der Kommune begegnet“, erinnert sich die Landessynodale an die Gebäude-Bereisung rund um die Loreley. Sie würde gern wissen, wo sich die Jugendlichen in den anderen Gemeinden treffen können.

Jugendhaus Hahnstaetten11 2011 becrima Als Mitglied des Ausschusses für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Bildung und Erziehung der Kirchensynode schmerzt es Astrid Ellermann besonders, dass sich die EKHN voraussichtlich von der Jugendburg Hohensolms trennen wird. Im Sommer wurden dort noch Kinder und Jugendliche aus dem zerstörten Ahrtal aufgenommen, um auf andere Gedanken zu kommen. Sinnvoll findet die Landessynodale aus Aull aber, dass gleichzeitig über mehr Raum in den Dekanaten und Nachbarschaftsräumen für Jugendliche beraten wurde. In den Wortbeiträgen der Synodalen sah sie große Einigkeit, die Partizipation von Kindern und Jugendlichen am kirchlichen Geschehen voranzutreiben. „Und unsere künftige Pröpstin Henriette Crüwell hat uns in ihrer Vorstellung nicht nur in diesem Punkt Mut gemacht“, so Ellermann. (vr/bcm)

Hier finden Sie mehr Berichte zur Herbsttaagung der Landessynode:

Volker Jung: „Kirche mit leichtem Gepäck werden“

Synode mahnt bessere Finanzierung von Krankenhäusern auf dem Land an

Henriette Crüwell wird im kommenden Jahr neue Pröpstin

Ausführliche Berichte zu den einzelnen Themen nebst den Tagungsunterlagen finden Sie hier.

 

Zum Foto:
Anfang November empfing Bärbel Goerke Fachleute der EKHN-Bauverwaltung während einer Dekanatsbereisung in der Kirche von Reichenberg. Die Beratung über die Zukunft von kirchlichen Liegenschaften war der Landessynodalen daher besonders wichtig während der Kirchensynode. Fotos: Bernd-Chr. Matern/Volker Rahn

Im Dekanat Nassauer Land gibt es bereits Jugendräume, die wie in Hahnstätten und Miehlen in Kooperation zwischen Orts- und Kirchengemeinden sowie dem Dekanat betrieben werden.