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Evangelische Kirche zwischen Moria und Corona

Flüchtlingsresolution, Nachtragshaushalt, Wahl und Zukunftsprozess auf EKHN-Tagung in Offenbach

OFFENBACH/RHEIN-LAHN. (20. September 2020) Gestern Abend ist die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) mit zahlreichen Beschlüssen zu Ende gegangen. Neben der Forderung an die hessische und rheinland-pfälzische Landesregierung, Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen wurde ein Nachtragshaushalt beschlossen und Sabine Bertram-Schäfer zur neuen Pröpstin für den Bereich Nord-Nassau gewählt. In seinem Bericht zur Lage in Kirche und Gesellschaft verteidigte der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung das Handeln der evangelischen Kirche in der Coronakrise gegen Kritik.

Die 140 Delegierten des in etwa mit einem Parlament vergleichbaren Gremiums unter dem Vorsitz von Präses Ulrich Oelschläger mussten die Tagung wegen besonderer Hygienevorschriften durch die Corona-Pandemie aus dem angestammten Frankfurter Dominikanerkloster in die Stadthalle von Offenbach verlegen. „Das war ungewohnt, hat aber alles perfekt geklappt“, sagte Frank Puchtler, Landessynodaler aus dem evangelischen Dekanat Nassauer Land, zu den äußeren Umständen der ungewöhnlichen Ein-Tages-Tagung. 

Hier ein Überblick über die wichtigsten Entscheidungen und Themen, die in Offenbach beraten und verabschiedet wurden:

Moria-Resolution: Flüchtlinge aufnehmen

Auf ihrer Zusammenkunft in Offenbach hat die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau die Landesregierungen in Hessen und Rheinland-Pfalz gebeten, sich bei der Bundesregierung für die unverzügliche Aufnahme von 12.500 Flüchtlingen aus Griechenland einzusetzen.  Gleichzeitig solle Hessen zusagen, 1000 Geflüchtete aufzunehmen. Rheinland-Pfalz solle 650 Flüchtlingen helfen. Auch die EKHN und die Diakonie in Hessen und Rheinland-Pfalz seien im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereit, Flüchtlinge mit Hilfe, Beratung und Unterbringung zu unterstützen. Natürlich sei die Suche nach einer gemeinsamen europäischen Lösung wichtig, aber während die Regierungen ewig verhandelten, würden dort Menschen hungern, frieren, erkranken und sterben, bekräftigt Pfarrerin Yvonne Fischer (Friedland) die Resolution. „Ich denke da immer an den Satz aus der US-Bürgerrechtsbewegung: Justice delayed is justice denied: Aufgeschobene Gerechtigkeit ist verweigerte Gerechtigkeit!“, so die Landessynodale aus dem Nassauer Land. Die Stellungsnahme sei auch nicht nur ein konkreter Appell an die beiden Landesregierungen. Die Kirche nehme sich auch selbst in die Pflicht, indem sie sagt: Wir helfen mit unseren längst vorhandenen Strukturen etwa den diakonischen Werken. „Ich weiß nicht, ob wir gehört werden. Aber ich bin froh, dass wir in solcher Einhelligkeit für Humanität eintreten!“, so die Theologin.

Kirchenpräsident: Kirche half eine Corona-Katastrophe zu vermeiden

LS1909 2020 Bericht Jung Foto ekhn erika von bassewitzDer hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung hatte bereits am Samstagmorgen an die Regierungen in Hessen und Rheinland-Pfalz appelliert, Flüchtlinge aus dem durch einen Brand zerstörten griechischen Lager Moria auszunehmen. In den Mittelpunkt seines Berichts zur Lage in Kirche und Gesellschaft stellte er aber die Situation in der Corona-Krise. Dabei ging er unter anderem auf die Arbeit der Kirchen in der Pandemie ein und widersprach mahnenden Stimmen. „Immer wieder wird kritisiert, die Kirchen hätten in der Corona-Krise keine tragende Rolle gespielt“, sagte Jung. Wer aber auf das schaue, was in Gemeinden und Einrichtungen beispielsweise in der Seelsorge wirklich geleistet wurde, müsse zu einem anderen Schluss kommen. Sie hätten im „Spannungsfeld von Zuwendung, Gefährdungspotential und Schutz“ gestanden und mit ihrem verantwortungsvollen Handeln dazu beigetragen „eine wirkliche Katastrophe zu verhindern“.

Den Bericht des Kirchenpräsidenten im Wortlaut können Sie hier herunterladen.

Nachtragshaushalt: Lücke aus Mix ausgleichen

Die Synode verabschiedete am Samstag auch einen Nachtragshaushalt mit Aufwendungen von 690 Millionen Euro im laufenden Jahr. Durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie rechnet die EKHN noch in diesem Jahr mit Mindererträgen von 60 Millionen Euro. Darunter sind alleine 50 Millionen Euro weniger Kirchensteuern als ursprünglich geplant. Die Deckungslücke soll aus einem Mix aus Sparmaßnahmen, Plankorrekturen mit Anpassungen an laufende Bedarfe und Rücklagenentnahmen ausgeglichen werden. Die Zuweisungen aus Gemeinden und  Dekanaten sind von den aktuellen Sparauflagen weitgehend ausgenommen.

Wahl: Sabine Bertram-Schäfer wird neue Pröpstin

LS1909 2020 bertram schaefer blumen Foto ekhnSabine Bertram-Schäfer ist die neue Pröpstin für den Bereich Nord-Nassau. Die hessen-nassauische Kirchensynode wählte die 53 Jahre alte Dekanin des Dekanats Büdinger Land in das evangelische Leitungsamt. Ab dem kommenden Jahr ist sie die geistliche Leitungsperson in der mittelhessischen Region um Herborn für rund 200.000 Kirchenmitglieder in 169 Gemeinden. Ihre Aufgabe ist mit der einer „Regionalbischöfin“ in anderen evangelischen Kirchen vergleichbar. Bertram-Schäfer tritt die Nachfolge von Annegret Puttkammer an, die zum Jahresende Direktorin des Neukirchener Erziehungsverein in Neukirchen-Vluyn bei Duisburg wird. In ihrer Bewerbungsrede sprach sich Bertram-Schäfer  unter anderem für eine „resonanzfähige Kirche“ aus. Es sei vor allem in den anstehenden Reformprozessen wichtig, „genau wahrzunehmen, zu schauen und zu hören“. Zu den ersten Gratulanten der künftigen Pröpstin für Nord-Nassau zählten auch Astrid Ellermann, Yvonne Fischer, Bärbel Goerke und Frank Puchtler. Dabei gehe es nicht nur um eine gute Nachbarschaft, meinte Puchtler. „Die Region im Westerwald ist ähnlich ländlich strukturiert wie unser Dekanat; da macht es Sinn, sich hin und wieder auszutauschen.“

Zukunftsprozess: Projekt „ekhn2030 geht in nächste Runde

Die EKHN-Synode hat bei ihrem Treffen auch den Weg für die nächste Phase des  Zukunftsprojektes „ekhn2030“ frei gemacht. Sie billigte auf ihrer Tagung in Offenbach nach einer intensiven Debatte ein Impulspapier, das Grundsätze und Verfahren beschreibt, wie sich die hessen-nassauische Kirche künftig ausrichten will. Zentral soll dabei die Frage sein, welche Maßnahmen und Veränderungen dazu beitragen, die EKHN als „offene und öffentliche Kirche in vielfältiger Gestalt nahe bei den Menschen“ weiterzuentwickeln. Dabei sollen auch Einsparoptionen angesichts zukünftig deutlich geringerer Kirchensteuereinnahmen benannt werden. „Ich glaube, dass die Einsparlast gut verteilt wird“, kommentierte Pfarrerin und Landessynodale Yvonne Fischer aus Friedland Impulspapier und die Diskussion.

Leitungssitzungen: Künftig auch digital möglich

Die Synode beschloss auch, dass  Kirchenvorstände in Gemeinden, Dekanatssynoden in der Region und auch die die Kirchensynode digital tagen und Beschlüsse fassen können. Dies war in der Coronakrise in vielen Fällen nötig geworden aber in den Kirchengesetzen bisher nicht regulär vorgesehen. Dass die Synode digitale Formate für Sitzungen von Synoden und Gremien beschlossen hat, die über das reine „Not-Instrument“ hinausgehen, fand auch an den Tischen des Nassauer Landes Zustimmung. Man müsse freilich immer abwägen, wann das auch im Dekanat sinnvoll sei, sagte Frank Puchtler: „Wir sollten da eine gesunde Mischung wählen.“ Es gebe sicher Themenfelder, für die es einfach einen offenen Dialog brauche.

Frank Puchtler in Diakonie-Ausschuss gewählt

Frank Puchtler ist von der Synode in den Ausschuss für Diakonie und Gesellschaftliche Verantwortung gewählt worden. „Das Dekanat hat ja zahlreiche wichtige Diakonische Einrichtungen wie etwa die Stiftung Scheuern oder auch das Diakoniewerk Friedenswarte; da habe ich die Wahl gerne angenommen“, so der Landessynodale aus Oberneisen.

Dekanats-Antrag im Verwaltungsausschuss

Ein Antrag des Dekanats Nassauer Land zum Bemessungsschlüssel der Stellen und zur Eingruppierung der Verwaltungsfachkräfte bleibt auf der Tagesordnung. Die Überprüfung wurde in den Verwaltungsausschuss übertragen. (vr/cm)

Hier finden Sie ausführliche Berichte zur Synode.

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Ungewohnt weit auseinander saßen die Synodalen aus dem Dekanat Nassauer Land in der Stadthalle von Offenbach (von links): Yvonne Fischer (Friedland), Frank Puchtler (Oberneisen), Astrid Ellermann (Aull) und Bärbel Goerke (Reichenberg).

Die kommende Herbstsynode ist vom 25. bis 28. November terminiert und soll laut Präses Oelschläger im oberhessischen Alsfeld geplant, wo dann auch eine Zusammenkunft nach Corona-Schutzbedingungen möglich ist.