SIehe das ist Gottes Lamm KWK Fenster Bad Ems becrima 2024

Karfreitag 2024

Wenn das „Kreuzige ihn!“ zum Alltag wird

 RHEIN-LAHN. (29. März 2024) Der Ton wird rauer in Deutschland, nicht nur in sozialen Netzwerken. Dort aber vor allem. „Kreuzige ihn!“ wabert da über den Posts, die politisch anders Denkende, sozial Schwache und all diejenigen, die einem womöglich ein Stück des eigenen Luxus abnehmen könnten, diffamiert, ausgegrenzt oder mit Spott und Häme übersät werden. „#mefirst“ lautet die Devise. Fragen, Zuhören, Mitgefühl – Fehlanzeige. Hass und Hetze gibt es nicht nur auf den großen Schauplätzen von Krieg und Gewalt, die von den Schurken dieser Welt – von religiösen wie politischen Fanatikern – zum Machterhalt angezettelt wurden und werden. Sie haben längst Einzug ins einst gemeinschaftliche Idyll des Rhein-Lahn-Kreises gehalten.

„Kreuzige ihn!“ – es scheint zum Alltag geworden sowohl verbal, manchmal sogar in Wort und Tat. So mögen sich etwa manche Fremde oder fremd aussehende Menschen vorkommen, an denen sich der Unmut über die eigene Unzufriedenheit, die eigenen Zukunftsängste entlädt. Es ist auch leichter, auf noch Schwächere herabzuschauen und nach einem „starken Staat“ zu schreien als sich zu fragen, wie man selbst etwas für die eigene Zufriedenheit und gelingende Zukunft tun kann. Robots und Trolle sorgen dank Künstlicher Intelligenz dafür, dass das Unsagbare ungeachtet jedwedes in Kinderjahren erlernten Anstands plötzlich sagbar wird. An Biedermännern, die den Hass auf Fremdes und Fremde noch befeuern und zu Brandstiftern im wahrsten Sinne werden, hat es der Menschheit sowieso noch nie gemangelt.

Miehlen 04 2023 Dornenkrone Kreuz becrima„Kreuzige ihn!“ – das hat dieser Jesus von Nazareth erfahren. Er passte nicht in Normen, hat sich in seinem Leben denen zugewandt, die ausgegrenzt und verfolgt wurden. Sein Todesurteil wurde vom brüllenden Mob, nicht von Pontius Pilatus gesprochen, der bekanntlich seine „Hände in Unschuld wusch“, weil er im Handeln Jesu nichts Unrechtes erkennen konnte. Der Staat knickte ein vor Hass und Wut-(Bürgern), die immer lauter brüllten „Kreuzige ihn!“. Der Blick auf den gekreuzigten Jesus am heutigen Karfreitag erinnert nicht an eine alte historische Begebenheit. Er offenbart unsere größten menschlichen Schwächen mitten im 21. Jahrhundert nach Christi Geburt: Egoismus und Neid, die all zu oft in Hass und Gewalt umschlagen.

Natürlich steht das Kreuz für Christen als Zeichen dafür, es Jesus gleich zu tun und Schwachen und Verfolgten beizustehen. Es sind nicht die Religionen, sondern es sind ungleiche Lebensverhältnisse und die immer größere Kluft zwischen Arm und Reich auf der Welt, die der Gewalt Vorschub leisten. Und natürlich ermutigt das Kreuz, das in Europa in den vergangenen 80 Jahren gewachsene zarte Pflänzchen Zivilisation und Menschlichkeit zu bewahren. Aber das scheint so schwer wie vor 2000 Jahren. Scheitern wir Christen angesichts der Millionen Hungertoten nicht Tag für Tag an diesem Anspruch? Und sind wir – Christen wie Nichtchristen – wirklich besser und konsequenter als Jesu' Jünger Petrus, der im Angesicht des Todes damals doch am Ende seinen besten Freund verleugnete?

Spüren wir im Gegenteil nicht auch Hass und Aggressionen in uns wachsen im alltäglichen populistisch-hysterischen Wettlauf um Halbwahrheiten und Fake-News? Radikalisierung und Zynismus beherrschen längst die politische Diskussion, die Inhalte scheinen eher zweitrangig. Wie kann in einer solch polarisierenden Medienwelt Menschlichkeit oder gar Nächstenliebe noch gedeihen? Der Blick auf den gekreuzigten Jesus erinnert auch an dessen letzten Worte: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“. Wer kann so für seine Peiniger beten? Vielleicht wäre es einen Versuch wert, diese Worte über Karfreitag und Ostern hinaus zu verinnerlichen und den Blick für die Möglichkeiten zu weiten statt ihn auf die Beschränkungen zu verengen.

Am Ende ist und bleibt der Blick auf den gekreuzigten Jesus für Christinnen und Christen ein Zeichen der Hoffnung in einer von Schuld geprägten Welt. Für sie ist und bleibt der Gekreuzigte das oben beschriebene „Lamm, das der Welt Sünde trägt“. Der Blick zum Kreuz ist auch der Blick auf Ostern, die Auferstehung Jesu, mit der Gewalt, Hass und Tod überwunden werden, das ganz persönliche Leid wie das der ganzen Welt. Nur dies lässt die Christenheit nicht an persönlichem Leid und dem Grauen in der Welt zerbrechen, das nicht erst mit Kriegen in Europa oder im Heiligen Land auf die Welt kam. Es macht ihnen vielmehr Mut, ein fröhliches Fest des Lebens zu feiern und diese frohe Gewissheit mit ihrem Leben und Handeln an Andere weiterzugeben, weil mit Jesu Auferstehung eine HOffnung in die Welt kam, die stärker ist als alle „Kreuzige ihn!“-Rufe. Bernd-Christoph Matern

Zum Foto:
„Siehe, das ist Gottes Lamm“ – Das Fenster in der evangelischen Kaiser-Wilhelm Kirche in Bad Ems (der Zutritt ist zurzeit nicht möglich) greift den Vers auf, an den Karfreitag erinnert. Eine Dornenkrone markiert den Tiefpunkt in Jesu Leben, steht für den Spott und Hohn, den er selbst am Kreuz noch erleiden musste. Erst mit seiner Auferstehung an Ostern brechen sich Liebe und Leben neue Bahn. Fotos: Matern