GuG2020Goethe Schueler becrima  

Jugend erinnert an Geschichte des zerstörten Altenheims in Bad Ems

Dekanin Renate Weigel hatte zum Gebet und Gedenken eingeladen – Antisemitismus mit Bildung begegnen

BAD EMS/RHEIN-LAHN. (10. November 2020) 10. November 1938 in Bad Ems: „Gegen 20 Uhr wurde das gesamte Altersheim verwüstet. Etwa 80 alte und hilflose Menschen wurden teilweise mit Gewalt in den Keller gejagt und dort eingesperrt. Andere wurden durch den Garten zur Viktoriaallee und bis zum Amtsgericht getrieben, wo sie in so genannte Schutzhaft kamen.“ So schreiben Schülerinnen und Schüler des Bad Emser Goethe-Gymnasiums, die sich detailgenau mit der Geschichte des jüdischen Altenheims in der Römerstraße 89 beschäftigt haben. In einem Gebet und Gedenken, zu dem die Dekanin des evangelischen Dekanats Nassauer Land Renate Weigel eingeladen hatte, stellten die Jugendlichen ihre Recherchen vor.

Vor den gewaltsamen Exzessen auf jüdische Bad Emser und Einrichtungen der Kurstadt blieb das Heim nicht verschont. Ursprünglich war an dessen Standort in der Max-Jacob-Passage eine Gedenkveranstaltung geplant, die aufgrund der geltenden Abstandsregelungen in die katholische Martinskirche verlegt werden konnte. Erst acht Jahre bestand das Erholungs- und Altersheim für jüdische Lehrer und Kantoren, wie die Schüler berichteten. Zur Eröffnung am 7. September 1930 nach einem Umbau hatten „Vertreter der Behörden und der Kirchen ihre Bewunderung für das gelungene Werk“ ausgedrückt. 30 Jahre lang beherbergte das Gebäude das Israelitische Zentral-Waisen- und Mädchenheim. Das hatte seinen Ursprung bereits in einem Mädchen-Waisenhaus in Diez, das dann mit 22 Kindern ab 1897 den Bad Emser Standort nutzte.

Die vier Jugendlichen schilderten sehr genau, was sie über die Einrichtung und deren Geschichte recherchiert hatten. Die jüdischen Mädchen sollten damals außerdem „Liebe zum Vaterland und Dankbarkeit gegen ihre Wohltäter“ entwickeln. Bürgerliche Werte, Familiensinn, Frömmigkeit und Bildungseifer wurden vermittelt. Aber auch antisemitische Ängste gab es bereits zur Jahrhundertwende. Die gipfelten am 10. November 1938 in dem oben zitierten Text. Die Jugendlichen wiesen auf die Künstlerin Lies Ebinger hin, die als zwölfjähriges Mädchen die Bad Emser Pogromnacht erlebte und 50 Jahre später in ihrer keramischen Werkstatt die Tafel zum Gedenken an die „Opfer von Gewalt, Verblendung und Gleichgültigkeit“ gestaltete. Die Tafel erinnert in der heutigen Max-Jacob-Passage an das Heim und die Opfer. „Sie mahnen uns, jeglicher Ausgrenzung und Verfolgung mutig und besonnen entgegenzutreten“, schließt der Bericht.

GuG2020Kerzen becrima Es war der Geburtstag Martin Luthers, an dem die Gewalt gegen jüdische Menschen und Einrichtungen am 10. November in Bad Ems ausbrach und „alles kurz und klein geschlagen wurde“, erinnerte Dekanin Weigel an die Entehrung der Mitbürger, das Verbrennen der Tora-Rollen mit den fünf Büchern Mose, die auch Christen heilig seien und an die Verwüstungen, die auch vor dem Altenheim nicht Halt machten. Jüdisches Leben und Kultur habe die Orte einst bereichert. „Heute haben wir nahezu nichts mehr von ihnen außer einem Friedhof, einer Trauerhalle und Stolpersteinen“, so die Theologin, die angesichts jüngster Gewalt gegen jüdisches Leben um ein achtsames und mutiges Herz betete. Weigel, Jutta Ulges und zwei Schülerinnen der Bad Emser Realschule plus verlasen die 54 Namen Bad Emser, die grausam Opfer des Holocaust wurden, Menschen aller Altersstufen vom Säugling bis zum fast 90-Jährigen. Vor dem Altar leuchteten 54 Kerzen zum Gedenken an sie.

Vielleicht mag gegen Corona ein Impfstoff gefunden werden, „gegen Antisemitismus ist keiner immun“, sagte Dr. Christoph Simonis von der Jüdischen Gemeinde in Koblenz und wies damit auf die jüngsten Angriffe gegen jüdische GuG2020 Gesang becrima Einrichtungen in Deutschland hin. Nicht nur die Synagoge in Koblenz sei heute wieder ein „Hochsicherheitstrakt“; dabei sollte dieser Ort des Gebets eigentlich für alle Menschen, gleich welcher Religion sie angehören, geöffnet und frei zugänglich sein. Umso wichtiger sei es und umso dankbarer sei er, dass sich die Jugend wie an diesem Abend des Gedenkens mit der Geschichte und Gegenwart auseinandersetzt und darüber lernt. Nur so könne sich etwas verbessern, nur so könnten Klischees und Stereotype überwunden werden.

Manuela Kühnau und Armin Himmighofen gaben mit ihrem Gesang jüdischer Gebete in hebräischer Sprache dem Gebet und Gedenken einen würdigen musikalischen Rahmen.

Schülerinnen des Goethe-Gymnasiums und ihre Lehrerin Elisabeth Knopp wurden übrigens im vergangenen Jahr mit dem Rolf-Joseph-Preis ausgezeichnet. Ihre gesammelten Informationen und Erkenntnisse über jüdische Orte in Bad Ems haben sie in kleinen Filmen zusammengefasst. So entstand ein Video-Spaziergang durch die Stadt. Mehr dazu finden Sie hier. Direkt zum Stadtspaziergang durch Bad Ems mit seinen sechs Statioen geht es hier. Bernd-Chr. Matern

Bereits am Sonntag gab es auch eine Gedenkveranstaltung in Friedrichssegen. Den Beitrag finden Sie hier.

 

Zu den Fotos:
54 Kerzen leuchteten vor dem Altar zur Erinnerung an die Bad Emser, die grausam Opfer des Holocaust wurden.. Zuvor hatten Jugendliche des Goethe-Gymnasiums an die Geschichte des in der Pogromnacht 1938 verwüsteten Erholungs- und Altenheims erinnert. Fotos: Matern