2Advent2021 becrima 

Adventsgedanken

Ein Advent zum aus der Haut fahren

RHEIN-LAHN. (5. Dezember 2021) Kann in diesem Jahr Adventsstimmung aufkommen? Die Kirchengemeinden wissen noch nicht, wie sie Weihnachten feiern können, die Corona-Pandemie hat das Land fester im Griff als je zuvor. Davon handeln diese Adventsgedanken:

Die Uhr tickt. Heilig Abend kommt näher. Die ersten besinnlichen Wünsche für Advent und Weihnachten trudeln ein. Weihnachtsshows sollen wohlige Wärme ins Wohnzimmer bringen. Und ich? An Grüße und Geschenke ist grad gar nicht zu denken. Eine Videokonferenz jagt die nächste, so viele wären in der alten Zeitrechnung v. C., also vor Corona, undenkbar gewesen.

Dieser Virus hält eh auf Trab. Gerade haben wir die gründlich geplante interne 100-Jahr-Feier des Miehlener Kirchenchors kurzfristig gestrichen; ständig gibt's neue Verordnungen und Empfehlungen von Politik, Ländern und Kirche auf der Dekanats-Homepage einzupflegen, die schon Tage später wieder überholt sind. Egal, was man plant: Irgendwie braucht's derzeit mehrere Varianten für alles, sicher ist sicher; die eigene Unsicherheit und Verantwortung, in Hobbies, Beruf und im Privatleben „richtig“ mit der Pandemie umzugehen, kann einem in einer Demokratie sowieso keiner nehmen. Obendrein Termine zuhauf, weniger drinnen, dafür umso mehr draußen, Erkältungsgefahr inbegriffen. Ob ich dieses Jahr noch den Booster ergattere?

Noch ärger ist sicher nicht nur mir das mediale Getöse und Geschrei der selbst ernannten Virologen und viralen Besserwisser allerorten. In Talkshows, in digitalen Kanälen, bei WhatsApp, Telegram, Facebook: Ein Aufschrei der Entrüstung will lauter als der nächste sein. Fragen ist out, Alleswissen in. Selbst die größten Blasen der Blödheit scheinen im Internet immun gegen das Platzen. Man und frau kann's nicht mehr lesen, sehen und hören. Könnte man in diesem Advent nicht eher aus der Haut fahren, als sich in besinnlicher Demut zu üben?

Und dann war da diese Woche dieser eine Termin: Eine halbstündige Orgelandacht in der kleinen Obernhofer Kirche. Mit zehn Leuten sitzen wir da. Pfarrerin Antje Dorn liest Bibelworte, Kantor Martin Samrock spielt Adventsmusik, melancholisch, modern, mal lauter, mal leise, sogar ein Walzer ist dabei. Da war er für eine halbe Stunde: der Advent! Mal raus aus der medialen Hast und Hetze, weg von beängstigenden Corona- und lauthalsen Empörungswellen. Zur Ruhe kommen, Zuhören, zufrieden werden, der Zeit mal Zeit geben, im Warten den Weg zur Weihnacht und was wirklich ist im Leben, wahrnehmen, und wenn es nur für 30 Minuten ist.

Ein Lieblingslied unseres Chores hat der Frankfurter Stadionpfarrer Eugen Eckert gedichtet: „Weise uns den Weg“. Ich wünsche Ihnen in dieser lauten Welt ähnlich adventliche Begegnungen, sei es in einer dürftig besetzten Kirche, an lebendigen Adventskalendern oder beim Advents-Spaziergang im kalten Freien, aber immer in der Gewissheit: Gott geht mit.

In der Losung der Herrnhuter Brüdergemeine – das ist die, die Anfang des 19. Jahrhunderts den charakteristischen Adventsstern erfunden hat – ist für den 2. Advent der 11. Vers aus Psalm 86 zu lesen: „Weise mir, Herr, deinen Weg, dass ich wandle in deiner Wahrheit.“

Bernd-Christoph Matern