06 2AdventBachheimerGrund becrima

Advent im Nassauer Land – Tür 6

RHEIN-LAHN. (6. Dezember 2020) Heute öffnet sich wieder ein Türchen am Adventskalender mit persönlichen Gedanken von Dekanin Renate Weigel:

O Heiland reiß die Himmel auf

Das Lied ist für mich eins der stärksten. Es gehört zum 2. Advent und gibt eine große Erlaubnis: Verzweiflung und Elend werden nicht ausgesperrt! Vom Tod darf, ja muss gesprochen und gesungen werden. Die Sehnsucht ist nicht süßlich, sondern sie tut weh: Diese Welt ist kaputt, und wir Menschen sind außerstande, sie zu retten!

Gott muss kommen! Mit Macht! Es ist gestattet, in seiner Gegenwart laut zu schreien und sein Handeln einzufordern. Er muss den Himmel aufreißen. Die Wolken müssen ausbrechen, die Erde ausschlagen. Wie sehr wird der „Heiland“ in diesem Lied mit der Erde, ja mit der ganzen Schöpfung in Verbindung gebracht. An ihr wird heute unser ganzes Unvermögen sichtbar.

Und ganz unverbrämt ist auch die Rede davon, dass wir Gottes Wirken vermissen, möglicherweise sogar enttäuscht von ihm sind. Die Frage „Wo bleibst du denn?“ stellen Menschen zu Zeiten von Jesaja, von Friedrich Spee und zu unseren Zeiten auch. Soll Gott endlich einmal „dreinschlagen“?

Unser Wunsch nach dem starken (Mann) Gott, der alles regelt, wird über dem „Blümlein“, dem „Ros“, dem Kind in der Krippe und dem Lamm nicht in Erfüllung gehen.

Das Lied gibt der Sehnsucht einen achtungsvollen Raum. Der Schmerz bleibt. Dafür bin ich Friedrich Spee dankbar. Nichts verletzt mehr als schnelle Antworten.

Die Sache mit Gottes Macht und Gottes Ohnmacht und uns Menschen – wie viele Psalmen und Propheten, wie viele Advent und Weihnachten und Karfreitage und Ostern werde ich noch brauchen, um besser zu verstehen?

Dekanin Renate Weigel