
Tietz: „Gemeinsamer Einsatz für die Demokratie“
Kirchenpräsidentin spricht zur Eröffnung der Frühjahrstagung zu Bedeutung und Aufgabe von Kirche
FRANKFURT/RHEIN-LAHN. (8. Mai 2025) Die hessen-nassauische Kirchenpräsidentin Christiane Tietz hat die gesellschaftliche Rolle der Kirchen unterstrichen. Vor der in Frankfurt am Main tagenden Kirchensynode sagte sie am heutigen Donnerstag: „Wir sind als Kirche politisch, insofern wir uns nach wie vor und unermüdlich dazu äußern, wo wir die Rechte von Menschen missachtet sehen, sei es durch Taten, sei es durch Worte.“ Kirche habe es, daran sei sie „jüngst mahnend erinnert“ worden, mit den Fragen von Leben und Tod zu tun.
„Wir sind davon überzeugt, dass das Leben jedes Menschen von Gott gewollt ist und, dass - wie wir an Ostern gefeiert haben - Gott stärker ist als alle Mächte des Todes“, sagte Tietz. „Genau deshalb müssen wir darauf aufmerksam machen, wo in unseren Augen die Lebensmöglichkeiten von Menschen ungerechtfertigt beschnitten werden, und müssen uns kritisch zu allen todbringenden, lebenzerstörenden Mächten, wie Hass, Gewalt oder Unterdrückung, äußern.“ Tietz hob hervor, dass sich Kirche für den Bestand der Demokratie einsetze in Zusammenarbeit mit anderen demokratischen Kräften. Dabei sei es besonders wichtig, das Bewusstsein wachzuhalten, dass die Demokratie auf der gleichen Würde aller Menschen gründet.
Kirche hat gesellschaftliche Relevanz
Als „Lebensadern“ der Kirche bezeichnete Tietz die Liturgie, das Zeugnis, die Bildung und Seelsorge, die Diakonie und die Gemeinschaft. „Keine dieser Lebensadern darf verkalken.“ Diese Kirche habe gesellschaftliche Relevanz, „gerade in unserer Zeit“, so Tietz. Kirche sei vor Ort präsent und offen für verschiedene Frömmigkeitsformen. Sie lebe vom Engagement Haupt- und Ehrenamtlicher, sei geprägt von der Arbeit von, für und mit jungen Menschen und zeichne sich durch breites diakonisches Engagement aus.
Keine „Billige Gnade“ für Täter
Auch die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der evangelischen Kirche wurde von Christiane Tietz thematisiert. Sie warnte vor „billiger Gnade“ und zitierte damit eine Formulierung Dietrich Bonhoeffers. „Billige Gnade“, also die „Predigt der Vergebung ohne Buße“, dürfe es nicht geben, schon gar nicht bezogen auf die Missbrauchsfälle und die davon betroffenen Personen. „Wir müssen eine differenzierte Rede von Schuld und Sünde lernen“, so Tietz. „Deshalb darf aus dem Bereuen des Täters nicht die Forderung an betroffene Personen, vergeben zu müssen, abgeleitet werden.“
ekhn2030 - Vielfalt und Polyphonie
Tietz ging auch auf den aktuellen Transformationsprozess der EKHN ein, der durch Vielfalt und die „Gleichzeitigkeit des Unterschiedlichen“ geprägt sei. Dieser sei sehr komplex und wirke sich aktuell in den verschiedenen Kirchengemeinden sehr unterschiedlich aus. „Bei meinen vielen Besuchen und Gesprächen in unserer Kirche hat mich beeindruckt, an wie vielen Orten es aber doch gelingt, die Gleichzeitigkeit des Unterschiedlichen auszuhalten“, äußerte sie sich zur laufenden Arbeit im Prozess.
Das Gelingen dieser vielfältigen Arbeitsprozesse, an denen sehr viele verschiedene Menschen beteiligt sind, verglich Christiane Tietz mit der Musik. Dort sind viele Stimmen und Instrumente gleichzeitig zu hören, die mal disharmonisch, mal harmonisch einen polyphonen Klang ergeben. „Mein Wunsch ist, dass uns im Transformationsprozess eine solche musikalische, polyphone Wahrnehmung gelingt. Dann können wir die Gleichzeitigkeit des Unterschiedlichen aushalten und reiben uns nicht in falschen Alternativen auf. Dann spielt nicht jeder möglichst laut nur seine eigene Stimme“, sagte sie.
Begeistert von Menschen und Aufgaben
Zu ihren ersten Monaten im neuen Amt sagte sie: „Die Vielfalt der Arbeitsfelder, die ganz unterschiedlichen Menschen, mit denen ich im Gespräch bin, begeistern mich.“
Auf der Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) gab Kirchenpräsidentin Christiane Tietz erstmals den traditionellen „Bericht zur Lage in Kirche und Gesellschaft“ ab. Sie stellte ihn unter das biblische Wort „So spricht unser Gott: ‚Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde.‘“ (Jesaja 41,19). Tietz ist seit Februar 2025 die Nachfolgerin von Volker Jung und die erste Frau als Kirchenpräsidentin der EKHN. (ag)
Zu den Fotos:
Die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) tagt in Frankfurt. Wie schon beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover bekräftigte Kirchenpräsidentin Christiane Tietz dabei, dass Kirche auch politisch sein müsse und sich nach wie vor und unermüdlich dazu äußern müsse, wo sie Rechte von Menschen missachtet sieht, sei es durch Taten oder durch Worte. Fotos: Bernd-Christoph Matern

Tietz: Alle Menschen brauchen Hilfe von anderen Menschen
175 Jahre Stiftung Scheuern: Zum großen Fest in Nassau mit hunderten Gästen verzogen sich sogar die Wolken
NASSAU/RHEIN-LAHN. (30. Mai 2025) Mit hunderten Gästen hat die Stiftung Scheuern am Sonntag ihr 175-jähriges Bestehen gefeiert. Den Auftakt machte ein Festgottesdienst, der aufgrund der Wettervorhersage kurzfristig von der Wiese in den Versammlungsraum der Stiftung verlagert wurde. Die fröhliche Feier auf der Festwiese konnte dann wider Erwarten doch ohne Regen über die Bühne gehen.
„You'll never walk alone“ erschallte es lautstark während des Gottesdienstes, den ein Projekt-Posaunenchor des Dekanats Nassauer Land unter Leitung von Petra Weigand musikalisch begleitete. Das passte zur Festpredigt von Christiane Tietz, Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). „Alle Menschen sind hilfsbedürftig. Alle Menschen brauchen Hilfe von anderen Menschen“, betonte sie, als sie über biblische Verse aus dem 16. Johannes-Evangelium predigte. Der handelt von menschlichen Wünschen, großen und kleinen, und dem Mut, den der Glaube gibt, eine manchmal Angst machende Welt gemeinsam miteinander zu überwinden.
„Ich glaube, Gott hat hier in Scheuern große Wünsche gehört. Viele Menschen haben sich gewünscht, dass es diesen Ort gibt. Viele Menschen haben Gott gebeten, dass Inklusion hier wirklich wird. Gott hat die Bitten von den Menschen gehört.“, sagte Tietz. Und die Menschen in Scheuern hätten in den 175 Jahren nicht nur gebetet, sondern auch gehandelt. „Sie haben einen Ort geschaffen, an dem Inklusion wirklich ist.“ Jeden Tag werde dafür gearbeitet, dass Menschen ihren Lebensraum passend gestalten können. Wichtig sei ebenso, Gott zu entdecken, „im warmen Lächeln eines Menschen oder wenn jemand einen anderen Menschen tröstet“, so die Theologin. Ebenso sei Gottes Kraft zu spüren, wenn eine Gruppe von Menschen laut lache, wenn getanzt oder zusammen gesungen werde.
Davon gab es beim Jubiläumsfest reichlich. Der theologische Vorstand der Stiftung Pfarrer Gerd Biesgen griff selbst zur Gitarre, bevor der Stiftungsratsvorsitzende Kristian Brinkmann die Gäste begrüßte und darauf hinwies, dass Inklusion aktuell wieder bedroht sei. „Aber wer 175 Jahre überdauert hat, wird sich auch bei Gegenwind behaupten“, zeigte er sich 
zuversichtlich. Bernd Feix, pädagogischer Vorstand der Stiftung, bat einige Ehrengäste um ein Grußwort, so etwa die rheinland-pfälzische Sozialministerin Dörte Schall. Die rief dazu auf, Menschen so anzunehmen wie sie sind und unterstrich die Bedeutung der Demokratie, ohne die Gleichberechtigung nicht möglich sei. Landrat Jörg Denninghoff sowie der SPD-Landtagsabgeordnete und Nassauer Stadtbürgermeister Manuel Liguori betonten die segensreiche Arbeit der Stiftung für die Region und das gute Miteinander.
Das evangelische Dekanat Nassauer Land gratulierte mit einem großen bunten Schirm in Regenbogenfarben, auf dem „gemeinsam unterwegs“ geschrieben steht. „Bunt wie das Leben, bunt wie wir“, sagten die stellvertretende Dekanin Maike Kniese und der stellvertretende Vorsitzende der Dekanatssynode Ulrich Werner und erklärten: „Wir in der Kirche und die Diakonie sind gemeinsam unterwegs“. Die Stiftung sei wichtig und wertvoll, weil dort wichtige und wertvolle Menschen leben und arbeiten.

Fröhliche Gemeinschaft war anschließend auf der dicht bevölkerten Festwiese der Stiftung zu spüren. Dort gab es nicht nur Mittagessen. Rundherum präsentierten sich Einrichtungen, Institutionen und diakonische Angebote aus der ganzen Rhein-Lahn-Region. Ein kurzweiliges Rahmenprogramm mit Tanzgruppen, Musik und einem die wechselvolle Geschichte der Einrichtung vor Augen führenden Schauspiel unterhielt die große Geburtstagsschar und sorgte für lauten Beifall.
Schon am Freitagabend war das Jubiläumswochenende mit einem Auftritt des Duos „2Flügel“ in Nassau eingeleitet worden. Die bewegende Mischung aus Konzert und Lesung mit Christina Brudereck und Ben Seipel begeisterte die Menschen in der voll besetzten Nassauer Stadthalle. Bernd-Christoph Matern
Wer mehr über die bewegende 175-jährige Geschichte der Stiftung Scheuern erfahren möchte:
Hier lässt sich eine digitale Jubiläums-Festschrift herunterladen.
Zu den Fotos:
Auch hochrangige Vertreterinnen aus Kirche und Politik wie Kirchenpräsidentin Christian Tietz (2. von rechts) und die rheinland-pfälzische Arbeits- und Sozialinisterin Dörte Schall (5. von links) unterstrichen mit ihrem Besuch, wie wichtig die Stiftung Scheuern für ein gelingendes und selbstbestimmtes Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung im Land ist.
Tanzgruppen unterhielten die Gäste ebenso wie ein bewegendes Schauspiel zur Geschichte der Stiftung, das von deren Bewohnerinnen und Bewohnern aufgeführt wurde.
Dass Inklusion nicht nur in Nassau und der Rhein-Lahn-Region gelebt wird, zeigte der Stand des Arbeitskreises Nassau-Mabira, der dort unter anderem an sein Majua-Projekt erinnerte, mit dem Kinder mit einer Beeinträchtigung in dem tansanischen Partnerdistrikt des Dekanats aus ihrem Schattendasein geholt werden sollen. Fotos: Lisa Treusch (1)/ Bernd-Christoph Matern