
Corona treibt Finanz-Hilfen in akuter Not rasant in die Höhe
Diakonisches Werk Rhein-Lahn hat Zahlungen im Einzelfall fast verdreifacht – Mehr Schuldner fürs Jahr 2021 befürchtet
RHEIN-LAHN. (29. Dezember 2020) Mit der steigenden Zahl an Covid-Infizierten ist in diesem Jahr auch die finanzielle Not rasant in die Höhe geschnellt von den Menschen, die vom Diakonischen Werk Rhein-Lahn (DW) betreut werden. In den Beratungen des Sozialbüros war es mit Unterstützung bei Anträgen nicht mehr getan. „Da wurde die finanzielle Not so deutlich wie nie zuvor“, beschreibt DW-Leiter Burkhard Struth die Auswirkungen auf die ohnehin am Existenzminimum lebende Klientel der drei Beratungsstellen in Bad Ems, Diez und Nastätten.
Fast 6000 Euro wurden in diesem Jahr bereits an Einzelfallhilfen ausgezahlt. Die sind für finanzielle Notfälle gedacht, etwa, wenn das Geld knapp wird, um sich eine neue Fahrkarte zu kaufen, oder wenn es nicht reicht, um Kinder, Partner oder Eltern in einer Klinik zu besuchen oder um selbst dorthin zu gelangen, um sich untersuchen zu lassen. Zum Vergleich: in Normal-Jahren schwankt die Summe zwischen 1500 und 2000 Euro. „Das sind alles Beträge bis maximal 30 Euro für Menschen, die nicht mehr weiter wissen“, erklärt Struth. Normalerweise helfe die Beratungsstelle beim Ausfüllen von Anträgen für die Ämter. „Das hätte viel zu lange gedauert bei den eingeschränkten Erreichbarkeiten aller Beteiligten“, erklärt Struth die zugespitzte Lage, vor allem auch wenn es einfach darum geht, um eine Familie satt zu machen. „Manchmal helfen 20 Euro besser“.
In diesem Jahr wurde vielfach das Geld für Essen und Trinken knapp. Vor allem beim ersten Lockdown im Frühjahr, als die drei Tafeln in Bad Ems, Diez und Nastätten von Mitte März bis Juni schließen mussten, war schnelle Hilfe gefordert. „Da hat sich eine riesige finanzielle Lücke aufgetan, wenn eine Familie beispielsweise mit Lebensmitteln von der Tafel kalkuliert, die monatlich etwa 150 Euro wert sind. Das Geld fehlt dann einfach.“ Umso dankbarer ist Struth für die hohe Spendenbereitschaft, die gerade in dieser Zeit in der Gesellschaft und von Geschäften gezeigt wurde.
Zu den Einzelfallhilfen und den Tafelausgaben kommen noch einmal 6000 Lebensmittelgutscheine hinzu, die an Bedürftige ausgegeben werden konnten, so viele wie noch nie. Dabei handelt es sich um Beträge von meist zehn oder auch mal 20 Euro. Allein seit Juni konnten damit rund 360 Haushalte im Rhein-Lahn-Kreis Lebensmittel kaufen und sich ernähren. Zu verdanken ist diese zusätzliche Hilfe zum großen Teil der „Aktion Mensch“, die dem DW Rhein-Lahn diese Gutscheine für Menschen in akuten finanziellen Notlagen sponserte.
Aber nicht nur die Situation der Personen und Familien, die ohnehin in prekären Verhältnissen leben und auf staatliche Hilfen angewiesen sind, habe sich im Corona-Jahr 2020 dramatisch verschlechtert. Struth fürchtet, dass sich Einnahmeausfälle durch Kurzarbeit, Entlassungen oder leere Auftragsbücher spätestens im nächsten Jahr auch auf Menschen auswirkt, die bislang über ein sehr gutes Einkommen verfügten, also auch die mittleren Einkommensgruppen erreiche. „Da könnte auf unsere Schuldnerberatung deutlich mehr Beratungsbedarf zukommen als bisher“. Einem Empfänger von Sozialleistungen könne ein Lebensmittelgutschein oder der Besuch der Tafel helfen, den Kredit für den Kühlschrank überschaubar abzustottern. „Aber Leute, die zwischen 2000 und 3000 Euro netto verdienen, haben oft auch viel höhere monatliche Verpflichtungen und Ausgaben“, weiß Struth aus der regionalen Schuldnerberatung. Da kämen schon bei einem Teilausfall des Gehalts viel schneller ganz andere Summen zusammen, die über kurz oder lang in die Privatinsolvenz führen könnten. „Anfangs kann man sich vielleicht noch über die Runden retten, indem man den Konsum etwas reduziert. Aber ein gutes halbes Jahr später kommt in der Regel der große Einbruch.“
Deshalb blickt Struth skeptisch auf den Jahresanfang, wenn Abschlussrechnungen für die Miete, Versicherungen und Steuerbescheide ins Haus flattern. „Da ist ein Privathaushalt mit hohen Verpflichtungen ganz schnell überschuldet.“ Wichtig sei, sich rechtzeitig beraten zu lassen, sei es bei der Schuldnerberatung des Diakonischen Werkes oder den Kolleginnen der Caritas. Struth: „Das Corona-Jahr war für unsere Klientel sicher ein sehr forderndes, aber ich fürchte, dass für viele Familien die dramatischen finanziellen Folgen erst noch kommen“. Bernd-Christoph Matern
Zum Foto:
Sehr belastend war die Schließung der Tafeln im Frühjahr; seit Juni sind sie wieder unter strengen Hygieneauflagen geöffnet. Foto: Matern
Kreis fördert Schuldnerberatung
RHEIN-LAHN. Die Schuldnerberatung wird im Rhein-Lahn-Kreis vom Caritasverband und dem Diakonischen Werk geleistet und steht allen Bürgerinnen und Bürgern offen. Der Rhein-Lahn-Kreis fördert, wie Landrat Frank Puchtler informiert, die Schuldnerberatung im Kreis mit 46.000 Euro jährlich. „Mit rund 500 jährlich durchgeführten Beratungen leisten Caritas und Diakonie wertvolle Arbeit für die Menschen im Rhein-Lahn-Kreis“, so Puchtler.
Das Angebot umfasst auch die Vorbereitung - und erforderlichenfalls die Begleitung - der Überschuldeten während eines Insolvenzverfahrens. Überschuldung geht regelmäßig mit psychosozialen Notlagen einher. Schuldnerberatungsstellen möchten dieser Situation entgegenwirken, das Existenzminimum der Betroffenen schützen und gleichzeitig eine wirksame Entschuldung beginnen. Schuldnerberatung betrachtet nicht nur die wirtschaftlichen Aspekte, sondern setzt auch gleichzeitig bei psychosozialen Fragestellungen, unter Einbeziehung der gesamten sozialen und wirtschaftlichen Lage des Ratsuchenden an. Schuldnerberatung verfolgt einen ganzheitlichen Beratungsansatz.
Schuldnerberatung bezeichnet die Maßnahmen, die Menschen mit Schuldenproblemen in Form von Rat und Hilfe in psychosozialer, finanzieller und rechtlicher Hinsicht gewährt werden. Aus der Überschuldung resultierende soziale Probleme sollen abgebaut bzw. gelindert werden, um dem Ratsuchenden die Chance auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Würde und Eigenverantwortung zu erhalten beziehungsweise wieder herzustellen. Schuldnerberatung will ihre Ziele erreichen durch:
- Aktivierung, Stärkung und Ausschöpfung des Selbsthilfepotenzials
- Hilfestellung zur eigenständigen Lebensplanung
- Unterstützung im Rahmen der Entschuldung
- Motivation zur Arbeitsaufnahme bzw. zum Erhalt des Arbeitsplatzes
- Vermeidung oder Reduzierung sozialer Bezugsleistungen.





