
„Die deutsche Bevölkerung hat tatenlos zugeschaut“
Ökumenisches Gedenken an Pogromnacht und Holocaust – Zivilcourage ist gefragt
BAD EMS/RHEIN-LAHN. Bedrückend, beklemmend – und leider notwendiger denn je: Mit einer zutiefst nachdenklich stimmenden ökumenischen Gedenkveranstaltung hat das evangelische Dekanat Nassauer Land am Sonntagabend an die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 erinnert. Und dabei einen weiteren Schwerpunkt auf das Kurzzeitgedächtnis gelegt: Auf sehr nahegehende Weise machte der Abend deutlich, dass der Antisemitismus auch heute, 86 Jahre später, keineswegs überwunden ist, sondern, ganz im Gegenteil, zunehmend wieder an Boden gewinnt.
Eindrücklich erinnerte Pfarrerin Antje Müller, Ökumene-Beauftragte des Dekanats, an die Reichspogromnacht, in der organisierte Schlägertrupps der Nationalsozialisten in ganz Deutschland Synagogen in Brand setzten, jüdische Geschäfte plünderten und brutal jüdische Mitbürger angriffen, die dies nur allzu oft mit dem Leben bezahlen mussten: „Und die deutsche Bevölkerung hat tatenlos zugeschaut. Nur Einzelne hatten die Courage, sich gegen die Nationalsozialisten zu wenden.“
Bereits Tradition bei den Gedenkveranstaltungen des Dekanats ist die Mitwirkung von Schülern des Bad Emser Goethe-Gymnasiums und der Realschule plus Bad Ems-Nassau, die gemeinsam mit ihren Lehrern Elisabeth Knopp, Theresa Faßbender und David Schmidl erneut einen wichtigen Part übernahmen. „Stolpersteine erinnern an diejenigen, die einst in unserer Stadt lebten und Teil der Gemeinschaft waren, bevor sie deportiert und ermordet wurden“, hieß es in einem von David Schmidl zu Gehör gebrachten Podcast: „Es steht in unserer Verantwortung, ihre Geschichten weiterzutragen, damit so etwas wie damals nie wieder geschieht.“
Was ist damals hier in Bad Ems passiert? Exemplarisch stellten Goethe-Gymnasiasten das Schicksal der Bankiersfamilie Kirchberger in den Mittelpunkt, deren Vorfahren einst am Veranstaltungsort des Gedenkens, der Brunnenhalle, einen Buchhandel gründeten. Bereits 1934 beschloss der Magistrat, dass die Bad Emser keine Bücher mehr bei Kirchbergers kaufen durften – Beginn einer systematischen Verfolgung, die fast alle Familienmitglieder das Leben kostete. „Es waren Nachbarn, Kollegen, Freunde. Wir erinnern an sie, um ihnen einen Teil ihrer Würde zurückzugeben“, betonten die Jugendlichen. „Wissen wir, wie kostbar Freiheit und Demokratie sind?“
Nachdenkliches war auch von den Vertretern der Politik zu hören. So erinnerte die Kreisbeigeordnete Gisela Bertram an die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano, die sie bei einer Veranstaltung im Bad Emser Kreishaus kennengelernt hatte, und an Edith Dietz aus Bad Ems, der die Flucht in die Schweiz gelang. „Ich bin entsetzt über den Hass, der auch heute Juden und anderen Menschen entgegenschlägt, die nicht ins Raster passen“, betonte sie. „Wir müssen aufpassen – nicht nur auf andere, sondern auch auf uns selbst, damit wir nicht gleichgültig werden.“
VG-Bürgermeister Uwe Bruchhäuser wiederum legte den Schwerpunkt auf das Geschehen in seiner Heimatgemeinde Dausenau und schilderte, wie aus den Familien Sundheimer und Stein, einst hochangesehene Bürger des Dorfs, Entrechtete und Verfolgte wurden. „Lassen Sie uns heute angesichts der schwierigen Situation im Nahen Osten und andernorts Bestrebungen entgegenwirken, die der Demokratie Schaden zufügen möchten“, so Bruchhäuser.
Bezug auf die Gegenwart nahm auch der Bad Emser Stadtbürgermeister Oliver Krügel. Ereignisse wie in der vergangenen Woche, wo es in Amsterdam am Rande eines Fußballspiels zu massiven Ausschreitungen gegen israelische Fans kam, und in Berlin, wo Jugend-Fußballer eines jüdischen Vereins antisemitisch beschimpft und bedroht wurden, seien nicht nur Angriffe auf jüdische Mitbürger, sondern auch auf die Grundwerte der demokratischen Gesellschaft, betonte Krügel, der auch mit Blick auf die Vergangenheit nichts beschönigte: „Wilfried Dieterichs‘ Buch ‚Bad Ems 1914-1964‘ ist zu entnehmen, dass Bad Ems zu den deutschen Städten gehörte, in denen der Mob gegen ‚nicht-arische‘ Menschen besonders heftig wütete.“
Keine Politikerin, aber politisch bewusste und engagierte Bad Emserin: Auf dem Hintergrund von Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) stellte Elisabeth Adam den Bonner Theologen und Bildhauer Ralf Knoblauch vor. Um genau an diese von Rechtsextremisten häufig in Frage gestellte Würde zu erinnern, stellt Knoblauch aus Eichenholz „Königinnen“ und „Könige“ her und schickt sie in alle Welt– zwei dieser Skulpturen beherbergt die Pfarrei St. Martin und St. Damian aktuell.
54 Bad Emser Juden sind während des Nationalsozialismus ums Leben gekommen – gemeinsam mit Schülern der Realschule verlasen Antje Müller und Ralf Skähr-Zöller, Mitarbeiter des Dekanats, ihre Namen. Zudem wurde für jeden dieser 54 brutal aus dem Leben gerissenen Menschen eine Kerze angezündet.
Den Schlusspunkt setzten Vertreter der jüdischen Gemeinde mit ihren Gebeten und eindringlichen Worten. „Es gibt ein gutes Mittel gegen Antisemitismus, und das ist die Bildung“, sagte Lothar Knothe, während Wolfgang Elias Dorr mit Blick auf die Geschehnisse in Amsterdam betonte: „Es ist ein Armutszeugnis, dass der Staat nicht in der Lage ist, Juden besser zu schützen.“ Für die musikalische Gestaltung sorgte Organistin Hannelore Syre, die unter anderem zahlreiche jüdische Lieder, darunter „Ma Towu“ von Louis Lewandowski und „S’brent“ von Mordechai Gebirtig, erklingen ließ. Ulrike Bletzer
Judenhass gab es schon immer
Auch in Miehlen wurde abermals auf dem Marktplatz an die Gräueltaten der deutschen Bevölkerung an ihren Mitbürgerinnen und Mitürger erinnert. Die evangelische und die katholische Kirchengemeinde hatten dazu an die Gedenktafel eingeladen. Lothar Bindczeck und Pfarrer i.R. Michael Wallau erinnerten an die Verbrechen und den Hass, der in der Nacht zum 10. November in der Mühlbachgemeinde offen ausbrach. Wallau erinnerte daran, dass der Hass gegen das Judentum bereits im Alten Testament dokumentiert ist. Damals wie heute gelte es, sich mit Zivilcourage und auch einer Portion Cleverness dagegen zu stellen.
Zu den Fotos:
In die Brunnenhalle von Bad Ems hatte die Ökumene-Pfarrerin des evangelischen Dekanats Nassauer Land Antje Müller eingeladen um an die Gräueltaten zu erinnern, die Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland angetan wurden und werden. Auch in Miehlen wurde tags zuvor auf dem Marktplatz an den 9. November 1938 erinnert, als der Hass gegen jüdische MItbürgerinnen und Mitbürger offen ausbrach. Fotos: Ulrike Bletzer/Bernd-Chr. Matern




Am Ort des Gedenkens – daran erinnert der von Lies Ebinger gestaltete Handwerkerbrunnen – lebten bis zu den 1930-er Jahren Metzger, Bäcker, Maler, Schlosser, Schneider und andere Handwerker in guter und friedlicher Nachbarschaft zusammen. Ein Grund für den aufkeimenden Holocaust spricht Pfarrerin Müller gleich zu Beginn des Abends an: die Angst, selbst zum Opfer der Nazis zu werden, wenn man das Unrecht beim Namen nennt. Während sein älterer Kollege in der Emser Dorfkirche in seiner Sonntagspredigt zur brennenden Synagoge schwieg, nahm der damalige Pfarrvikar Willi Göttert in der Kaiser-Wilhelm-Kirche, in der auch ein Gestapo-Beamter auf der Empore saß, allen Mut zusammen und erklärte mitten in der Predigt: „Was vorgestern an unseren jüdischen Mitbürgern und ihrem Gotteshaus geschehen ist, das war Unrecht und Sünde gegen Gottes Gebot.“ Nur durch die Fürsprache eines früheren Schulkameraden blieb ihm letztlich die Abholung in ein Konzentrationslager erspart.
Wie es passieren konnte, dass in einer normalen und Wärme ausstrahlenden nachbarschaftlichen Umgebung wie der Friedrichsstraße „nicht aufbegehrt wurde, wenn Menschen diskriminiert, von Schulbesuch und gemeinschaftlichem, auch politischem Leben ausgeschlossen wurden“, fragte die Erste Beigeordnete des Rhein-Lahn-Kreis Gisela Bertram. Neben der erwähnten Feigheit machte sie noch einen anderen Grund aus: die von den Nazis ausgenutzten vorhandenen Vorurteile gegen Juden. Dass Juden aus Angst vor verbaler und körperlicher Gewalt heute wieder keine Kippa tragen, zeige dies: „Wir sind mitten drin in einem offen gezeigten Antisemitismus“.
Dafür waren Schülerinnen und Schüler des Goethe-Gymnasiums Bad Ems und der Realschule plus Bad Ems-Nassau ein Beispiel, die zusammen mit ihren Lehrern Elisabeth Knopp und David Schmidl das Gedenken bereicherten. Ihr Wissen um die Geschichte konnte nicht nur auf einem Tablet am Boden neben Blumen und Kerzen nachgelesen werden. Ganz konkret stellten sie Biographien von jüdischen Menschen allen Alters vor, die einst in der Friedrichstraße lebten und unter den Augen der Bevölkerung von dort in Flucht vertrieben und in Konzentrationslager deportiert wurden. So brachten die Schüler die Stolpersteine in der Straße zum Sprechen.
Neben Dokumentation und Mahnung bot das Gedenken des Dekanats sehr bewegende Momente. Beispielsweise, als David Schmidl etwa seine Gedanken beim Reinigen der Stolpersteine als „zarte Verbindung zwischen der Gegenwart und dem Schatten der Geschichte“ beschrieb. Beim Verlesen der ermordeten und deportierten Bad Emser, für die nach und nach 55 Kerzen angezündet wurden, kam die Stimme angesichts der unsagbaren Verbrechen, die vor Kindern nicht Halt machten, ins Stocken ebenso während eines hebräischen Gebets für die Verfolgten und Ermordeten in den einzeln aufgezählten Konzengtrationslagern.



Der Obernhofer Kulturverein Peregrini, das Lahnfestival „Gegen den Strom“ und die jüngst darin ins Leben gerufene Piano-Akademie sind drei weit über das Kloster und das Kreisgebiet hinaus strahlende Institutionen, die Gresch als Vorsitzender, Intendant und als nimmermüder Motor und Netzwerker auf die Beine gestellt hat. Das Kloster als Ort der Auszeichnung sei ein wundervoller Kristallisationspunkt für Greschs bisheriges Wirken, den er mit einem motivierten Team mit Leben erfülle, sagte Lewentz.
nz gekommen sei, zeige die Wertschätzung vor Greschs Leistung, begrüßte Puchtler die Landtagsabgeordneten Matthias Lammert (CDU), Jörg Denninghoff (SPD), Bürgermeister Werner Groß und Nocherns Ortschef Gerhard Beilstein.