
Dankbar bleiben für Demokratie und Freiheit
Tag der Deutschen Einheit: Algorithmen schaffen neue Grenzen zwischen Menschen
RHEIN-LAHN. (3. Oktober 2023) Der heutige 3. Oktober, der per Gesetz als Tag der Deutschen Einheit an den 1990 unterzeichneten Einigungsvertrag erinnert, könnte eine gute Gelegenheit sein, nach dem Erntedankfest am vergangenen Sonntag noch einmal ans Danken zu denken, ganz konkret für die Freiheit und die Demokratie, die mit diesem Datum verknüpft sind. Doch wie mit manch religiösem Feiertag nimmt auch das Interesse für den Ursprung staatlicher Feiertage ab.
Vergessen scheint eine Volkskrankheit, die von der Flut an Medien eher noch gefördert wird anstatt sie mit Informationen und aufklärenden Fakten zu heilen. Im Gegenteil: Manche Zeitgenossen wünschen sich sowohl die Mauern zwischen Ost und West wieder zurück als auch Grenzzäune und -Kontrollen für einzelne Bundesländer. In den Blasen der asozialen Netzwerke wurden sie von Algorithmen sogar schon längst zwischen Menschen unterschiedlicher Auffassungen gezogen.
Wer nicht mehr nach dem Sinn und Ursprung von Feiertagen fragt, nach dem Motto „Hauptsache frei und nicht arbeiten!“, muss sich nicht wundern, wenn die damit verbundenen Freiheiten auch irgendwann weichen. Das gilt für arbeitsfreie Sonntage und christliche Feiertage ebenso wie für die staatlichen Feiertage. Welchen Sinn sollte es beispielsweise machen, dass Unternehmen Sonntags- und Feiertageszuschläge an Menschen zahlen, die ganz bewusst mit solchen Feiertagen nichts zu tun haben wollen? Wie gefährlich das politische Desinteresse an demokratischen Wahlen und einem geeinten Europa sowie der erst damit verbundenen Deutschen Einheit ist, ließe sich eigentlich ganz gut an der wirtschaftlichen Lage Großbritanniens nach dem Brexit ablesen, in dem es längst kein Geld mehr für soziale Wohltaten gibt, wie sie im vereinten Deutschland so selbstverständlich erscheinen und – noch – sind.
Die Freiheiten freier Tage zu genießen, sich ihres Ursprungs zu besinnen, hilft, sie zu erhalten. Verreisen war für die meisten Menschen in der DDR alles andere als selbstverständlich. Schlimmer noch: Familien waren über Jahrzehnte durch eine unüberwindbare Mauer getrennt; das Verlassen des Landes nur unter Todesgefahr möglich. Unfassbar, welches persönliche Leid allein mit der Grenzmauer an der Bernauer Straße (Foto oben) verbunden war. Dass sich Betroffene und Zeitzeugen noch bis an ihr Lebensende an diese Unrechtsverhältnisse erinnern werden, steht außer Frage. Die nachfolgende Generation scheint das in Ost und West längst vergessen zu haben.
Wünschenswert wäre, wenn sich wieder mehr Menschen ihrer Freiheit bewusst würden, die das Gegenteil nicht bitter durchleben mussten. Die Begeisterung und die Dankbarkeit, die den Fall der Mauer begleiteten, verblassen allmählich mit jedem Jahr. Stattdessen keimen nationalistische Parolen auf, die das genaue Gegenteil einer freiheitlichen Demokratie heraufbeschwören, von den wirtschaftlichen Folgen ganz zu schweigen. Die Mehrheit der sechs Prozent der Deutschen, die sich laut einer aktuellen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Diktatur für Deutschland wünschen, dürften eine solche nie miterlebt haben. Dabei zeigen die Nachrichten von den Kriegen und Auseinandersetzungen in aller Welt doch tagtäglich, wie wenig selbstverständlich ein Leben mit demokratischen Grundsätzen, in Frieden, Freiheit und Wohlstand ist und was Diktaturen an menschlichem Leid und wirtschaftlichem Mangel anrichten.
Womit haben wir den freien Sonntag eigentlich verdient? Womit haben wir eigentlich verdient, unsere Meinung frei äußern zu dürfen und in einem Rechtsstaat zu leben? Stattdessen sinkt von Jahr zu Jahr der Besuch von Sonntagsgottesdiensten genauso wie die Beteiligung bei politischen Wahlen, während sich Milliarden von Menschen danach sehnen, denen dieser Luxus verwehrt bleibt, sowohl ihren Glauben als auch ihre politischen Rechte entfalten zu können, die dafür sgar ihr Leben aufs Spiel setzen.
Politik und Politiker schlecht zu reden, macht Mode, diesseits wie jenseits der ehemaligen Mauer. Schlimmer noch: Es führt zu einer extremistischen Abwendung von freiheitlichen demokratischen Strukturen, anstatt Politik mitzugestalten. Schlecht zu reden und gegen etwas zu sein, ist ja auch bedeutend bequemer als mitzumachen und Politik nach eigenen Vorstellungen besser zu gestalten.
Gut, dass es die Feiertage noch gibt, auch wenn sie von immer weniger Menschen gefeiert werden. Wer nur meckert, trägt nichts dazu bei, sie zu erhalten. Bernd-Christoph Matern
Zu den Fotos:
In Berlin wird an vielen Orten an die Schrecken des Kalten Krieges, die unmenschliche Mauer mitten durch Stadt und Familien sowie an die Sehnsucht nach Einheit erinnert. So etwa an der Versöhnungskirche an der Bernauer Straße. Doch in den Köpfen von immer mehr Menschen verblassen die Erinnerungen. Sie lassen sich lieber von Algorithmen lenken als von Information und Geschichte und einem demokratisch gewählten Bundestag. Fotos: Bernd-Christoph Matern



Für Menschen, die sowohl die Zeit vor der „Wende“ als auch den Mauerfall selbst miterlebt haben, ist die derzeitige Spaltung in der deutschen Gesellschaft, die sich politisch nach 36 Jahren sogar wieder deutlich in eine ost- und eine westdeutsche Haltung einfärben lässt, eine unbegreifliche Entwicklung. Es mag zwar nachvollziehbare Gründe dafür geben; eine Verklärung der Diktatur, unter der die Menschen in der DDR litten, rechtfertigt das niemals. Und um diese Sehnsucht nach Freiheit ging es, die am 9. November 1989 erfüllt wurde, als sich Ost- und Westdeutsche in den Armen lagen; ganz sicher nicht um „blühende Landschaften“, um die sich heute viele Bürgerinnen und Bürger, zu recht oder unrecht betrogen fühlen.
Ein verlängertes Wochenende wie das jetzige etwa zum Reisen zu nutzen, war für die meisten Menschen in der DDR alles andere als selbstverständlich. Schlimmer noch: Familien waren über Jahrzehnte durch eine unüberwindbare Mauer getrennt; das Verlassen des Landes, um in Freiheit zu leben, nur unter Todesgefahr möglich. Dass sich Betroffene und Zeitzeugen noch bis an ihr Lebensende an diese Unrechtsverhältnisse erinnern, steht außer Frage. Wünschenswert wäre zum 35. Jahrestag der Vollendung der Wiedervereinigung, wenn sich auch deren Nachkommen und andere Menschen ihrer Freiheit bewusst würden, die das Gegenteil nicht bitter durchlebten. Ist der Wunsch, dass die Menschheit eines Tages vom Leiden der Vergesslichkeit geheilt wird, nur ein frommer?
Die Begeisterung und die Dankbarkeit, die den Fall der Mauer begleiteten, verblassen von Jahr zu Jahr. Dabei zeigen die Nachrichten von den Kriegen und Auseinandersetzungen in aller Welt, seit 2022 sogar wieder in Europa, tagtäglich, wie wenig selbstverständlich ein Leben in Frieden und Freiheit mit demokratischen Grundsätzen ist. Womit haben wir das eigentlich verdient, in einem Rechtsstaat zu leben und unsere Meinung und unseren Unmut so frei äußern zu dürfen? Stattdessen werden von Jahr zu Jahr bei sinkender Wahlbeteiligung die Stimmen nach antidemokratischen (An-)führern immer lauter, während sich Milliarden von Menschen nach einem demokratischen System wie dem unsrigen sehnen, denen dieser Luxus verwehrt bleibt. Politik und Politiker schlecht zu reden, macht Mode und ist diesseits wie jenseits der ehemaligen Mauer längst zum medialen Volkssport geworden. Das ist ja auch bedeutend bequemer als mitzumachen und Politik nach eigenen Vorstellungen besser zu gestalten.



Mit dem Tag werde an die unzähligen Leben erinnert, die durch Hass, Intoleranz und Unmenschlichkeit ausgelöscht wurden, so Denninghoff. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, des größten Vernichtungslagers des NS-Regimes. „Diese Befreiung markiert einen Wendepunkt in der Geschichte, doch die Wunden, die der Holocaust hinterlassen hat, sind bis heute spürbar. Wir möchten den Opfern gedenken, ihre Geschichten erzählen und sicherstellen, dass ihr Leid nicht in Vergessenheit gerät“, schreibt Denninghoff.