
Friede in der Welt ist wie Geburtswehen
Ökumenisches Friedensgebet in Bad Ems wirbt um mehr Gemeinsinn statt Spaltung in nah und fern
BAD EMS/RHEIN-LAHN. (16. November 2021) Ein hebräisch gesprochener Psalm aus der Bibel, gesungene Suren aus dem Koran und das christliche „Vater Unser“ – in der katholischen Martinskirche Bad Ems bewiesen Vertreter unterschiedlicher Religionen mit kommunalpolitischer Unterstützung einmal mehr, dass sie an den einen Gott glauben, der Frieden schaffen will und eine Welt, in der sich keiner über den anderen erhebt und meint, besser zu sein als die anderen. Schon gar nicht wolle dieser Gott, den Muslime arabisch Allah nennen, dass eigener Glaube und Interessen mit Gewalt durchgesetzt werden. Wie Überheblichkeit nicht nur in Glaubensfragen enden kann, dafür steht der Volkstrauertag als Mahnung, auf den das ökumenische Friedensgebet wieder terminiert war, abermals allerdings aufgrund der Corona-Pandemie ohne Sternmarsch zur Kirche.
„Man hat das Gefühl, dass jedes Jahr neue Krisenherde dazukommen“, begrüßte Dr. Hildegard Simons die etwa 100 Teilnehmenden im Gotteshaus und erinnerte an die Bilder aus Afghanistan, das Elend von Flüchtlingen an der polnischen Grenze und auf dem Mittelmeer, aber auch an zunehmenden Antisemitismus in Deutschland, Kritik an christlichen Kirchen und die Corona-Pandemie, die das Land zutiefst gespalten habe und zu unfassbaren Taten führe wie dem Mord an einer Tankstelle in Idar-Oberstein. Dagegen machten Bilder, wie Menschen anderen Menschen helfen, Hoffnung. „Die Flutkatastrophe an der Ahr hat gezeigt, dass es auch anders geht, wenn sich Menschen gegenseitig unterstützen“, so Simons.
Im gemeinsamen Tun sei Friede erst möglich und nicht, wenn einer mit dem Finger auf den anderen zeigt und übel übereinander redet, sagte die Bad Emser Gemeindepfarrerin Lieve Van den Ameele. „Leider wachen wir erst auf, wenn es schon zu spät ist“, so die evangelische Theologin. „Wir kapseln uns ab und wundern uns dann, wenn das Miteinander nicht mehr funktioniert.“ Dass Friede erst im Entstehen ist, daran erinnerte der katholische Gemeindepfarrer Michael Scheungraber, verglich ihn mit den Schmerzen der Geburtswehen, die die Welt auf dem Weg zum Frieden erfahre. „Da könnte man verzweifeln, wenn es nicht Gott gäbe“, so Scheungraber. Auf ihn zu vertrauen und ihn um den inneren Frieden zu bitten, „den uns die Welt nicht geben kann“, schaffe Hoffnung.
In Liturgie und Fürbitten kamen Texte aus dem Alten und Neuen Testament sowie dem Koran zu Gehör. Sie riefen Gott als einen barmherzigen Hüter und Begleiter für ein friedliches Miteinander in Erinnerung und warnten vor Argwohn und gegenseitiger Verleumdung, riefen dazu auf, für Gerechtigkeit und Verständigung einzutreten und baten Gott: „Mach uns zu einem Werkzeug deines Friedens“.
Neben inhaltlicher Orientierung war der Abend in der Martinskirche auch im Miteinander der Mitwirkenden ein Hoffnungszeichen. Evangelische, katholische, die russisch-orthodoxe Gemeinde und die Ökumene des Dekanats waren vertreten sowie die jüdische Gemeinde, die muslimische Ahmadiyya-Gemeinde
Koblenz und der Beirat für Migration und Integration des Rhein-Lahn-Kreises, der Ansprechpartner für zurzeit etwa 16.000 ausländische Mitbürger und Spätaussiedler ist.
Das hoffnungsvolle Miteinander wurde bewegend verstärkt mit einfühlsamen musikalischen Beiträgen, die Friedfertigkeit im Kirchenschiff verströmten. Dazu zählten das Vokalensemble Rhein-Lahn unter Franz Rudolf Stein, ein Gesangs-Trio der russisch-orthodoxen Gemeinde mit Wassily Kotykov sowie Dr. Thomas Reisinger und Regine Reisinger, die den jüdischen Friedenswunsch „Osse shalom“ auf den Violinen erklingen ließen.
Wie gut der Friede schmecken kann, davon konnten sich die Besucherinnen und Besucher des Friedensgebetes zuhause in Form eines gebackenen Engels überzeugen. Den hatte es verpackt mit auf den Heimweg gegeben.

Der Friede soll Früchte tragen
Veranstalter und Kommunalpolitiker pflanzen Apfelbaum
an der Kirche
Mit einem Baum hatte Dr. Hildegard Simons den Frieden verglichen: Die Wurzeln als Wille zum Frieden, der zaghafte Stamm, der immer kräftiger wird und die stolze und weit
verzweigte Krone, die Früchte trägt. Mit vereinten Kräften wurde nach dem Friedensgebet ein Apfelbaum direkt hinter der Martinskirche von allen Beteiligten gepflanzt. Karl-Josef und Else Finke aus Fachbach haben dafür die Patenschaft übernommen. Unterstützung erhielten die Vertreter der Kirchen und Glaubensvertreter von der Kommunalpolitik. „Es ist gut und wichtig, solche Symbole zu setzen“, sagte Landrat Frank Puchtler und griff beherzt zum Spaten ebenso wie die Bürgermeister Oliver Krügel (Bad Ems), Manuel Liguori (Nassau) und Jens Güllering (Nastätten), die allesamt betonten, dass der Friede schon in nächster Nähe beginne und die Gesellschaft ein Miteinander nötiger habe denn je. Bernd-Christoph Matern
Zu den Fotos:
In viele Farben war die katholische Martinskirche innen und außen am Volkstrauertag getaucht. Ein Sinnbild für das friedliche Miteinander, für das sich Christen, Juden und Muslime sowie der Beirat für Migration und Integration einmal mehr beim ökumenischen Friedensgebet in Bad Ems einsetzten. Fotos: Matern

Friedensethik der Mennoniten in Bad Ems kennen gelernt
Ökumene-Pfarramt stellt christliche Vielfalt im Rhein-Lahn-Kreis vor
BAD EMS/RHEIN-LAHN. (2. Oktober 2023) In der Reihe „Christliche Vielfalt im Nassauer Land“ hatte die Ökumene-Pfarrerin des evangelischen Dekanats Nassauer Land Antje Müller zu einem Abend in die Mennoniten-Brüdergemeinde Bad Ems eingeladen, in deren Gemeindehaus („Betsaal“) eine interessante Dauerausstellung mit verschiedenen Schautafeln zur Geschichte der Täuferbewegung zu sehen war.
Etwa 30 Personen verschiedenster Konfessionen und Religionen (evangelisch, katholisch, freikirchlich, jüdisch) waren der Einladung gefolgt. Nach einer kurzen Andacht führten der Neuwieder Historiker und Lehrer Johann Siebert und Mennonitenpastor Harry Bergen durch die Ausstellung, danach konnten die Gäste einen von den Mennonitenschwestern vorbereiteten Imbiss und Getränke zu sich nehmen. Anschließend gab es eine Präsentation von Johann Siebert speziell zur mennonitischen Friedensethik.
Die Mennoniten gehen auf Menno Simons (1496-1561) zurück, der – wie Martin Luther – zuerst katholischer Priester war und dann zum Reformator wurde. Anders als die anderen Reformatoren legte er unter anderem Wert auf eine strenge Trennung von Staat und Kirche, betonte die Gläubigentaufe statt der Säuglingstaufe (daher „Wiedertäufer“ genannt) und lehnte nach dem Vorbild Jesu und der Bergpredigt Kriegsdienst und Eid ab. Bis heute sind die Mennoniten und ihnen verwandte Gruppen wie die Hutterer (nach Jakob Hutter, 1500-1536) Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer aus Glaubensgründen. Wegen ihrer unterschiedlichen Einstellung zu Staat, Kirche und Taufe wurden sie ab 1529 blutig verfolgt, deshalb wanderten später viele nach Amerika oder Russland aus.
Russlanddeutsche Wurzeln hat auch die Mennoniten-Brüdergemeinde Bad Ems, denn die so genannten Brüdergemeinden sind erst 1860 als eine Reformbewegung und Abspaltung unter den deutschstämmigen Mennoniten Russlands und der Ukraine entstanden. Großen Einfluss darauf hatte der pietistische Prediger Eduard Wüst. Strengere Einstellungen in ethisch-moralischen Fragen, ein eher traditionelles Frauen- und Familienbild unterscheiden sie von den herkömmlichen Mennoniten, was etwa auch bedeutet, dass bei den Brüdergemeinden Frauen nicht Pastorinnen werden dürfen.
Die Bad Emser Gemeinde ist zwar eine kleine Gemeinde, aber die Gottesdienste sind immer gut besucht, erfuhren die Gäste. Jeder und jede übernehme eine Aufgabe. Mit Harry Bergen gibt es einen ehrenamtlichen Pastor, aber es dürfen auch andere Männer, die dafür geeignet gehalten werden, predigen.
Was die Ökumene-Pfarrerin besonders beeindruckt: „Das engagierte christliche Leben vieler Brüder und Schwestern und ihre radikale Friedensethik, die Ablehnung von Krieg, die Wehrdienstverweigerung impliziert und sich auf Jesus Christus und dessen Vorbild begründet“. Ganz wichtig seien dabei die Seligpreisungen der Bergpredigt und andere biblische Aussagen, die mahnen, nicht selbst zu rächen, sondern das Böse mit Gutem zu überwinden.
Besuch evangelischer Freikirche
In der Reihe „Christliche Vielfalt im Nassauer Land“ steht als nächstes ein Besuch der „Gemeinde unterwegs“ am Dienstag, 17. Oktober um 18.30 Uhr in Nastätten an. Am Sitz der Gemeinde (Industriestraße 22) wird Pastorin Magdalene Kolar Ursprung, Geschichte und Werte der evangelischen Freikirche vorstellen. Unter dem Motto „Auf dem Weg zu Jesus, mit Jesus, für Jesus“ werden an diesem Abend Informationen, Austausch und Begegnung angeboten.
Mehr Informationen gibt Antje Müller unter Telefon 0160-6368503 oder E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.
Zum Foto:
Der mennonitische Lehrer und Historiker Johann Siebert beim Vortrag mennonitischen Friedensethik. Foto: Dekanat Nassauer Land/Müller