In Dortmund Denkanstöße und Mut zur Demokratie getankt

Was für ein Vertrauen: Teilnehmende des evangelischen Kirchentages aus dem Dekanat Nassauer Land nutzen breites Programm

 DORTMUND/RHEIN-LAHN. (25. Juni 2019) Fünf Tage Deutscher Evangelischer Kirchentag in Dortmund unter dem Motto „Was für ein Vertrauen“: Trotz mancher Strapazen sind die Teilnehmenden aus dem Dekanat Nassauer Land mit vielen Denkanstößen, praktischen Informationen und jeder Menge Motivation für den Alltag von der Ruhr an Rhein, Lahn und Aar zurückgekehrt.

Knapp 100 Personen (von insgesamt mehr als 120.000 Besuchern) sind beim alle zwei Jahre stattfindenden Protestanten-Treffen diesmal aus dem Rhein-Lahn-Kreis dabei. Das Dekanat hat eine Gemeinschaftsfahrt im Bus organisiert, andere fahren auf eigene Faust ins Ruhrgebiet. „Mich hat das sehr gerührt, dass Menschen ihre Wohnung zur Verfügung stellen, die mit Kirche gar nichts zu tun haben“, erzählt Klingelbachs Gemeindepfarrerin Dr. Anneke Peereboom, deren überzeugt atheistische, aber humanistische Gastgeberin sie sogar zu einer Veranstaltung begleitet. Etwas „härter“ auf dem Boden einer Schulturnhalle nächtigen die Busreisenden.

Viel Zeit bleibt dazu ohnehin nicht, um von den 2400 Programmpunkten die persönlichen Highlights mitzubekommen. Tipps zur Essengestaltung fürs eigene Kirchcafé in Dausenau holt sich der mit 78 Jahren wohl älteste Kirchentags-Gast aus dem Rhein-Lahn-Kreis Hans A. Walter; dem Enkelkind bringt er ein Bibel-Malbuch mit, das er beim riesigen Markt der Möglichkeiten in den Messehallen entdeckt. Bewegt hat ihn eine Bibelarbeit mit der sehr emotional und authentisch auftretenden Journalistin Dunja Hayali. Die beklagt Hass und Hetze, die den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zur Konsequenz haben und dass sie in einer vermeintlich christlich geprägten Gesellschaft Barmherzigkeit und Nächstenliebe in der Flüchtlingspolitik vermisst.

Politisches Programm

Ein sehr politischer Kirchentag prägt Dortmund. Demokratieverständnis, die Bewahrung der Schöpfung und globale Hilfe statt nur globales Wirtschaften sind große Themen in zahlreichen Foren mit viel politischer Prominenz. Für die Vorsitzende der Synode des Dekanats Nassauer Land Anja Beeres aus Obertiefenbach sind die deutlichen Worte gegen Rechtsextremismus, wie sie sie etwa vom Bundespräsidenten Steinmeier und Außenminister Heiko Maas hört sowie während eines politischen Nachtgebetes mit Claudia Roth eine Motivation, sich im eigenen Alltag deutlicher für Demokratie einzusetzen und Farbe zu bekennen. „Und das Kirchentagsmotto macht Mut dazu“. Darüber hinaus hat sie ganz allgemein den Eindruck, dass das Durchschnittsalter unter Besucherinnen und Besuchern etwas höher liegt als in Vorjahren. „Das kann natürlich auch daran liegen, dass Kirchentage in größeren Städten wie Berlin, Hamburg oder München eher das Interesse junger Leute findet“, so Beeres.

Nachhaltigkeit und Frieden

Das Thema Nachhaltigkeit und Frieden hat den Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung im Dekanat Nassauer Land Matthias Metzmacher in den Focus seiner Programmauswahl gestellt. Den Satz „Du sollst Deinen Übernächsten lieben“ von Eckart von Hirschhausen findet er ebenso weise wie Bundeskanzlerin Angela Merkels Überzeugung, im Dialog zu bleiben und die eigene Haltung nicht aufzugeben, wenn Vertrauen einmal enttäuscht wird. Dortmund sei zudem ein Beispiel, wie trotz sozialer Probleme Wandel doch gelingen könne. „In der großen Gemeinschaft kann man wieder aufladen und sich des Christseins vergewissern“, schätzt Ralf Skähr-Zöller aus Bad Ems jeden Kirchentag und die facettenreichen Angebote. Die sind für ihn nebenbei auch eine Anregung für die Angebote, die er im Rhein-Lahn-Kreis für Menschen im Alter ab 55 Jahren macht. „Und Kirchentage sind immer ein Ankerpunkt für mich“, sagt der Dekanatsmitarbeiter, der zusammen mit Heidi Jung, Matthias Metzmacher und Thorsten Knüppel zum Orgateam der Busreise gehört.

Als ein „Feuerwerk guter Gedanken“ bezeichnet Anneke Peereboom den Auftritt des Journalisten Heribert Prantl, mit Angst „fruchtbar und nicht furchtbar“ umzugehen. „Eine Gesellschaftsanalyse , die den Blick weitet und bereichernd nach Hause gehen lässt“, so die Pfarrerin. Neben Ideen fürs eigene Gemeindeleben in Holzhausen schärfen die von Marion Paul-Färber besuchten Veranstaltungen vor allem ihren Sinn für die globalen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen den Welten, die auf der einen Seite Wohlstand, auf der anderen Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltzerstörung bedeuten. „Da müssen wir Verantwortung übernehmen und nachhaltiger denken und handeln.“ In großen und kleinen Gesprächs-Foren, in Musik und Ausstellungen geht es immer wieder um die Situation von etwa 70 Millionen Flüchtlingen auf der Welt, die ihre Heimat wegen Gewalt, Krieg und politischer Verfolgung verlassen haben. Besonders eindrücklich weist der Bürgermeister von Palermo Leoluco Orlando auf die Situation hin, der nicht von Flüchtlingen spricht, sondern von Menschen, die in Not sind. Ein Rettungsschiff, an dem an Ertrunkene erinnert wird, macht beklemmend auf die Situation aufmerksam.

Musik für jeden Geschmack

Neben den derzeit viel diskutiertem gesellschaftspolitischen Themen, die auf unterschiedlichste Weise vorgestellt und diskutiert werden, bildet Musik immer einen unterhaltsamen und bewegenden Schwerpunkt. In Dortmund füllen Stars wie Adel Tawil oder Culcha Candela die Plätze mit zigtausend vor allem jungen Zuhörern. Beeindruckend: Vor dem Auftritt Tawils schweigen rund 20.000 Menschen fünf Minuten lang auf dem Hansaplatz, während in der gar nicht weit entfernten Reinoldikirche an 35.597 im Mittelmeeer ertrunkener Kinder und Erwachsener erinnert wird, die vor Krieg und Gewalt in ihrer Heimat flüchten wollten. Zuvor fordert der Arzt und Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege aus dem Kongo dazu auf, Nein gegenüber Gewalt an Frauen zu sagen und zum Anderen die E-Mobilität zu fördern und für diese auf ethisch saubere und verantwortungsvolle Weise die entsprechenden Rohstoffe in seinem Land abzubauen.

In die vielen Kirchen der Stadt locken klassische Klänge, Musicals, Gospels bis zu symphonischen Werken. Besonders die Abendgebete und der Segen zum Abschluss des Tages, den am letzten Abend auch der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm am Friedensplatz spricht, ist für die Menschen ein Ruhepunkt und eine Kraftquelle in einer Welt, die vor lauter medialen Schreckensmeldungen und Polarisierungen die Suche nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit sowie Orientierung immer schwieriger macht.

Geduldig und freundlich

Jenseits der thematischen Vielfalt hinterlassen die Besucher des Kirchentags in Dortmund einen bleibenden positiven Eindruck. „Lieber zehn Kirchentage als ein Bundesligaspiel hat ein Bereitschaftspolizist zu mir gesagt“, erzählt Gerd Jung aus Dausenau. Die vermitteln überall ein Gefühl der Sicherheit, Gewalt müssen sie nicht ausüben, allenfalls mal den Weg zeigen. Denn auch das ist Kirchentag: Die Wartezeit in der Schlange vor der U-Bahn wird lieber mit spontanem Gesang als mit Pöbeln oder gar Prügeln verkürzt. Und wenn ein Platz oder eine Halle wegen Überfüllung gesperrt ist, finden sich genügend Alternativen. So viele freundliche Gesichter, so viel Hilfsbereitschaft, Geduld und Kontaktfreude ist Dortmund von anderen Großveranstaltungen nicht gewohnt, verrät ein einheimischer Journalist.

 

Abschluss schenkt Vertrauen

Mit gleich zwei Gottesdiensten endet am Sonntag der diesjährige Kirchentag. Extra für Familien wird der Gottesdienst im Grün des Westfalenparks angeboten. Zum Haupt-Abschlussgottesdienst füllen rund 40.000 Menschen das Stadion von Borussia Dortmund, den Signal-Iduna-Park. In ihrer eindrucksvollen Predigt, mit der sie vielen Besuchern aus dem Herzen spricht, greift Pastorin Sandra Bils noch einmal die wachsende Seelenlosigkeit im politischen Handeln Europas auf und erklärt, dass Lebenretten kein Verbrechen sondern Christenpflicht ist. Bils: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt“.  Kirchentagspräsident Hans Leyendecker betont: „Wir dürfen den öffentlichen Raum nicht denen überlassen, die das Gemeinwohl zerstören wollen.“ Wer den Abschlussgottesdienst noch einmal sehen möchte, kann dies in der Mediathek des ZDF. Sie finden ihn hier.

Unter dem Motto „Werft euer Vertrauen nicht weg“ gibt dieser Abschluss noch einmal die Gewissheit mit auf den Nachhause-Weg, die Christen Vertrauen für die Zukunft  und Tatkraft fürs Heute schenkt: im Vertrauen auf Gott die richtigen Schritte zu tun.

Bernd-Christoph Matern

 

 

 

 

 

 

Zu den Fotos:
Der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag in Dortmund ist zu ende. Er lieferte nicht nur den Teilnehmenden aus dem Rhein-Lahn-Kreis viele politische Denkanstöße und Motivation, er war auch ein Gemeinschaftserlebnis für mehr als 100.000 gläubige Menschen. Fotos: Matern /privat (1)

 

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