
Mehr Nachbarschaft, weniger Gebäude, mehr Gemeinschaft
Zwischen Schmerz und Chance: Landessynodale des evangelischen Dekanats Nassauer Land hoffen auf kreative Räume in Region
OFFENBACH/RHEIN-LAHN. (29. November 2021) Die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat während ihrer am Samstag zu Ende gegangenen Online-Tagung die Arbeit am umfassenden Zukunftsprozess „ekhn2030“ fortgesetzt. Die 140 Delegierten des mit einem Parlament vergleichbaren Kirchengremiums debattierten unter anderem über eine verstärkte Zusammenarbeit vor Ort, die Konzentration des Gebäudebestandes und die Zukunft der Kinder- und Jugendarbeit. Mehr als zwei Dutzend Anträge wurden bei den intensiven Diskussionen eingereicht und müssen nun bearbeitet werden. Abschließende Entscheidungen zu grundlegenden Reformen werden erst im kommenden Jahr erwartet.
Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung sprach sich in der Debatte angesichts der demographischen Entwicklung und zurückgehender Mitgliederzahlen für eine „Kirche mit leichtem Gepäck“ aus. Es reiche in Zukunft nicht mehr aus, die bestehende Arbeit einfach zu reduzieren. Es sei nötig, „sich von manchem, was dauerhaft Mittel bindet“, zu trennen, um auch in Zukunft Bewegungsspielräume für die kirchliche Arbeit zu erhalten. Ziel sei es, „eine aktive und attraktive Kirche – offen und öffentlich in vielfältiger Weise nah bei den Menschen“ zu bleiben.
Nachbarschaftsräume: Zusammenarbeit intensivieren
Ein zentraler Bestandteil von „ekhn2030“ ist die Schaffung sogenannter Nachbarschaftsräume ab dem Jahr 2023. Es geht nach Worten des Entwurfs dabei „um eine Organisation des sozialen Nahraums, die in geistlicher Hinsicht eine Kirche für und mit anderen stärken und ermöglichen soll“. Ziel ist es, die Zusammenarbeit der Gemeinden vor Ort und mit anderen Akteuren der Zivilgesellschaft zu intensivieren und die Arbeit der Hauptamtlichen künftig viel stärker in Teams zu organisieren. Das Modell geht derzeit von etwa 3.000 bis 6.000 Gemeindegliedern als Orientierungsgröße für einen Nachbarschaftsraum aus.
Ganz praktisch wird das bereits in den Kirchengemeinden rund um die Loreley und im Blauen Ländchen angegangen. Das Nassauer Land gehört zu einem Pilot-Dekanat, in dem sämtliche Gebäude, die die Kirchengemeinden dort zu unterhalten haben, von der Bauverwaltung der EKHN erfasst werden ebenso wie deren Nutzung und Auslastung. Im vergangenen Monat gab es dazu eine Bereisung des südlichen Dekanatsgebietes mit Fachleuten der Bauverwaltung, die sich ein Bild von Kirchen, Pfarr- und Gemeindehäusern machten.

„Das war auch für uns Kirchenvorstände sehr informativ, denn wer war schon mal in allen Gebäuden und hat diese bewusst unter baulichen Belangen betrachtet“, berichtet Bärbel Goerke, die bei der Besichtigung aller kirchlichen Gebäude der Nachbarschaft „Rund um die Loreley“ dabei war und jetzt auf die konzeptionelle Auswertung aus Darmstadt gespannt ist. Schon vor Corona seien viele Gebäude und Räume nicht so oft belegt gewesen, wie das noch vor Jahren gewesen sei. Frauenkreise, musikalische Gruppen – vielerorts gingen die Teilnahmezahlen zurück; die Konfi-Gruppen nutzten manchen Raum noch am häufigsten. „Da stellt sich natürlich schon die Frage nach der Wirtschaftlichkeit“, so die Landessynodale aus Reichenberg. „Auch wenn es schwer fällt, geht wohl kein Weg daran vorbei, alle Gebäude der Kirchengemeinden auf den Prüfstein zu stellen.“
Diskutiert wurde die Frage, inwieweit es möglich ist, in Kirchengebäuden Gemeinderäume zu integrieren. „Ich kann mir schon vorstellen, dass es Gemeinden gibt, die bereit sind, ihr Gemeindehaus abzugeben und mit der Jugend stattdessen in die Kirche zu gehen; dann ist da mal was los“, formulierte Pfarrerin Yvonne Fischer (Friedland) am Bildschirm vor dem digital tagenden Gremium. Wenn das Gestühl rauskommt, könne der Raum auch für Gottesdienste variabler werden. Auch Küche und Toilette brauche es dort dann. Aber sie fürchte, dass das am Denkmalschutz scheitert, wenn mancherorts nicht mal der Einbau eines Beamers erlaubt werde. „Neu denken darf nicht am Gestühl halt machen“, so die Überzeugung der Landessynodalen. Sie hatte zur jüngsten Dekanatssynode in Miehlen zusammen mit der Theologin Ruth Poser auch die Idee für eine Kletterkirche eingebracht, für die jetzt im Dekanat noch eine interessierte Gemeinde und ein geeignetes Gotteshaus gesucht wird.
Umfassend sind die Anregungen, die Propsteisprecher Frank Puchtler aus der Synode schöpft. Kooperationschancen sieht er nicht nur zwischen evangelischen und katholischen Gemeinden, sondern ebenso zwischen Kirchen- und Ortsgemeinden sowie Dritten. Für solche Gemeinde-Häuser im wahrsten Sinne gebe es ja auch schon Beispiele im Rhein-Lahn-Kreis, wenn ein Rathaus unter seinem Dach unterschiedlichsten Gruppen und Kreisen Versammlungsraum biete, so der Landessynodale und Landrat des Rhein-Lahn-Kreises. „Wichtig ist, frühzeitig auf Kooperationen zu setzen, bevor es wirtschaftlich immer enger wird und alles wegbricht“, so Puchtler. Über das Finanzielle hinaus könne die Vernetzung für gemeinsame Räume zudem das Zusammenleben von Menschen fördern, ob sie ein soziales, gemeindliches oder kirchliches Anliegen leite.
Jugend braucht Räume
Hilfreich empfand Bärbel Goerke die Diskussion über Räume für die Jugend, in denen Kinder und Jugendliche Anderen begegnen können, in denen sie kreativ sein können und die sie selbst gestalten. „In unserer Nachbarschaft ist mir ein Jugendraum nur im Gemeindehaus in Niederwallmenach in Regie der Kommune begegnet“, erinnert sich die Landessynodale an die Gebäude-Bereisung rund um die Loreley. Sie würde gern wissen, wo sich die Jugendlichen in den anderen Gemeinden treffen können.
Als Mitglied des Ausschusses für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Bildung und Erziehung der Kirchensynode schmerzt es Astrid Ellermann besonders, dass sich die EKHN voraussichtlich von der Jugendburg Hohensolms trennen wird. Im Sommer wurden dort noch Kinder und Jugendliche aus dem zerstörten Ahrtal aufgenommen, um auf andere Gedanken zu kommen. Sinnvoll findet die Landessynodale aus Aull aber, dass gleichzeitig über mehr Raum in den Dekanaten und Nachbarschaftsräumen für Jugendliche beraten wurde. In den Wortbeiträgen der Synodalen sah sie große Einigkeit, die Partizipation von Kindern und Jugendlichen am kirchlichen Geschehen voranzutreiben. „Und unsere künftige Pröpstin Henriette Crüwell hat uns in ihrer Vorstellung nicht nur in diesem Punkt Mut gemacht“, so Ellermann. (vr/bcm)
Hier finden Sie mehr Berichte zur Herbsttaagung der Landessynode:
Volker Jung: „Kirche mit leichtem Gepäck werden“
Synode mahnt bessere Finanzierung von Krankenhäusern auf dem Land an
Henriette Crüwell wird im kommenden Jahr neue Pröpstin
Ausführliche Berichte zu den einzelnen Themen nebst den Tagungsunterlagen finden Sie hier.
Zum Foto:
Anfang November empfing Bärbel Goerke Fachleute der EKHN-Bauverwaltung während einer Dekanatsbereisung in der Kirche von Reichenberg. Die Beratung über die Zukunft von kirchlichen Liegenschaften war der Landessynodalen daher besonders wichtig während der Kirchensynode. Fotos: Bernd-Chr. Matern/Volker Rahn
Im Dekanat Nassauer Land gibt es bereits Jugendräume, die wie in Hahnstätten und Miehlen in Kooperation zwischen Orts- und Kirchengemeinden sowie dem Dekanat betrieben werden.

Verwaltungs-Reformen sollen, müssen und werden kommen
Heimische Kirchensynodale erhoffen sich Entlastung – In Herbsttagung Doppel-Haushalt verabschiedet
FRANFURT/RHEIN-LAHN. (1. Dezember 2025) In Frankfurt ist am Samstag die Herbsttagung der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) zu Ende gegangen. Wichtige Themen wurden dabei beraten wie etwa der Haushalt fürs kommende Jahr und das erklärte Einsparziel von 140 Millionen Euro bis zum Jahr 2030. In Gesetz gegossen wurde ebenso die bereits seit einigen Jahren noch als Ausnahme geübte Praxis, dass auch Menschen ohne Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche in Arbeitsfeldern der EKHN angestellt werden können. In erster Lesung wurden außerdem die Vorschläge für eine umfassende Verwaltungsreform vorgestellt.
Der Vorschlag aus der Kirchenleitung, den der Leiter der EKHN-Kirchenverwaltung Lars Fuchs-Esterhaus dem Gremium vorstellte, sieht vor, dass in allen Nachbarschaftsräumen obligatorisch hauptamtliche Verwaltungsleitungen eingerichtet werden mit fachlich qualifizierten Menschen. Aus den Regionalverwaltungsverbänden sollen zwei fachlich orientierte Dienstleistungszentren werden. Das Credo des Verwaltungschefs: „Nur eine gemeinsame kirchliche Verwaltung könne eine gute sein.
„Ich hatte noch weitaus mehr Emotionalität in der Debatte befürchtet“, sagte die Kirchensynodale und Präses des evangelischen Dekanats Nassauer Land Astrid Ellermann aus Aull nach der Beratung des Tagesordnungspunktes. Aber es scheine sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass es ohne Verwaltungsreform nicht geht. „Die Reform kommt“, war auch Ute Feuerstake aus Nassau überzeugt, aber es müsse noch viel dafür gearbeitet werden. „Sie muss kommen“, wurde Pfarrer Lukas Hille aus Altendiez noch deutlicher, der erstmals als Vertreter des Dekanats an einer Synode teilnahm und gleich einen Antrag für den Gesetzentwurf einbrachte. Dass Leute, die derzeit überlastet seien, durch eine Reform entastet werden müssen, darüber herrsche Einigkeit, so der Theologe. Die Sorge, die er in seiner Antragsbegründung formulierte: „Dass damit auch die Kontrolle, die Macht, über die Bereiche, für die wir Verantwortung übernehmen, nach oben fließt.“ Dabei gehe es ihm nicht ums operative Geschäft, die alltägliche Arbeit, sondern um Grenzfälle. Im Konfliktfall solle die Entscheidungsgewalt bei denjenigen leitenden Gremien der Ebenen liegen, bei dem die Verwaltungsleitung angesiedelt ist.
Ein anderer für Astrid Ellermann wichtiger Punkt, der zu klären ist: Wer übernimmt die Aufgaben, die derzeit die Regionalverwaltungen für die Kindertagesstätten sei es in kirchengemeindlicher oder gemeindeübergreifender Trägerschaft ausüben? Bis zur Veraschiedung eines „Verwaltungs-Neuordnungsgesetzes“ wird also nicht nur nach Überzeugung der drei Kirchensynodalen aus dem Dekanat Nassauer Land noch viel Wasser den Rhein und die Lahn herunterfließen.
Fest beschlossen wurden die Finanzpläne für die kommenden zwei Jahre. Die Synode verabschiedete den Doppelhaushalt 2026/2027. Für nächstes Jahr ist ein Gesamtvolumen von knapp 746 Millionen Euro vorgesehen, für 2027 rund 737 Millionen Euro. Trotz der unsicheren wirtschaftlichen Lage rechnet die EKHN in beiden Jahren mit jeweils rund 500 Millionen Euro Einnahmen aus der Kirchensteuer. Das wären 43 Millionen Euro weniger als im laufenden Jahr veranschlagt. Zur Deckung der Haushalte müssen jeweils über 50 Millionen Euro aus der Ausgleichsrücklage entnommen werden.
Der größte Anteil im Budget entfällt weiterhin auf die Personalaufwendungen: jährlich über 340 Millionen Euro für mehr als 20.000 Beschäftigte. 247 Millionen Euro hiervon entfallen auf die Gehälter und Versorgungsverpflichtungen im Pfarrdienst. Darüber hinaus werden den Gemeinden und Dekanaten in beiden Haushaltsjahren jeweils rund 260 Millionen Euro zugewiesen. Etwa 45 Millionen Euro aus dem gesamtkirchlichen Etat fließen jährlich unter anderem in die Arbeit in Kindertagesstätten. Rund 22 Millionen Euro werden als Zuschuss direkt für die diakonische Arbeit und den Entwicklungsdienst bereitgestellt. Zudem sollen jährlich rund 5 Millionen Euro in Maßnahmen zum Klimaschutz investiert werden.
Mit der Änderung des Mitarbeitergesetzes soll jetzt auch Menschen ohne christliche Religionszugehörigkeit noch leichter ermöglicht werden, für die evangelische Kirche zu arbeiten. Das „Kirchengesetz über Anforderungen an die berufliche Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (Mitarbeitsgesetz = MAG)“ orientiert sich an einer Vorlage der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD). (bcm/ag)
Hier finden Sie einen zusammenfassenden Bericht des Evangelischen Medienhauses über die Herbsttagung.
Zu den Fotos:
Die Kirchensynodalen aus dem Dekanat Nassauer Land Ute Feuerstake, Astrid Ellermann und Lukas Hille (von links) erhoffen sich Entlastungen durch eine Verwaltungsreform, die jetzt erarbeitet werden soll. Tempo und Offenheit wünschen sie sich auch bei der Digitalisierung. Viele Themen diskutierte die EKHN-Kirchensynode während ihrer Herbsttagung in Frankfurt. Unter anderem wurde die Pröpstin für Nordnassau Sabine Bertram-Schäfer wiedergewählt. Fotos: Matern